KI – Assistentin oder Rivalin

Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit

Künstliche Intelligenz ist keine Spielerei mehr, sondern ein wichtiger Erfolgsfaktor für die ökonomische Zukunft. Sie hat das Potenzial, die Kosten zu senken, die Effizienz zu steigern und das Kundenerlebnis zu revolutionieren. Selbstredend setzen auch viele Schweizer Versicherer und Banken auf KI-Lösungen. Mit ihnen gehen derzeit vor allem positive Erfahrungen einher. ChatGPT & Co als Schlüssel zum Erfolg, stimmt das wirklich?

Nicht jede KI ist gleich schlau

Um das zu beantworten, müssen wir zuerst festhalten, von welcher KI wir sprechen. Denn unterschiedliche KI-Lösungen werden gerne in einen Topf geworfen. Einerseits gibt es KI-basierte Dialogsysteme wie Chat- oder Voicebots. Diese haben nichts mit grossen Sprachmodellen wie GPT zu tun. Sie arbeiten regelbasiert. Das heisst, sie geben nur Antworten auf vordefinierte Fragen. Andererseits gibt es smarte, KI-basierte Bots. Smart heisst in diesem Sinne selbstlernfähig, wobei in diesen Sprachmodellen Techniken des maschinellen Lernens angewendet werden. Eine solche KI-Assistentin heisst FinanceGPT. Deren Assistenzdienste nutzen etwa die Privatbank Pictet, die Liechtensteiner Privatbank LGT, Partners Group, Postfinance oder die Mobiliar.

Die Benutzer machen gute Erfahrung mit FinanceGPT. Mitarbeiter können damit auf interne Dokumente zugreifen oder personalisierte Emails verfassen. Das mindert den Aufwand und beschleunigt Prozesse – und zwar spürbar. Die Vorstellung darüber, was generative KI  können soll, ist allerdings viel weiter gesteckt, wie eine Umfrage der Hochschule Luzern zeigt. Dazu zählen Email-Anfragen von Kundinnen und Kunden automatisch beantworten und Blogbeiträge oder Social-Media-Posts schreiben. Wer möchte nicht solche Vorteile nutzen? Aber was ist mit Datenschutz oder Urheberrechten? Die KI-Assistentinnen haben bisher die interne Umgebung nicht verlassen. Im Kundendienst wird es datenschutztechnisch aber heikler.

Gespräch mit einer Maschine

Heikel heisst aber nicht unmöglich: Helvetia hat das Problem gelöst und wird ChatGPT auch im Kundendienst einsetzen. Der Datenschutz sei gewährleistet, indem Daten, welche in der Interaktion eingegeben werden, das Firmen-Universum nicht verlassen. Bei der Mobiliar funktioniert das, indem der KI-Service in die Cloud  des Versicherers eingebunden ist. Die Abfragen verlassen die Cloud nicht und werden auch nicht abgespeichert. Zudem wird der Output von ChatGPT als solcher gekennzeichnet, so dass es für Kundinnen und Kunden ersichtlich ist, woher der Inhalt stammt. Soviel zum Urheberrecht. 

Die Konkurrentin

Von den guten Erfahrungen wird gerne gesprochen. Sie zeigen, dass man gute Entscheide getroffen hat. Doch generative KI wie ChatGPT hat auch Schattenseiten, von denen nicht gerne gesprochen wird. Zum Beispiel beantwortet die KI-Assistentin konkrete Wissensfragen nicht immer richtig. Inhalte müssen also kritisch hinterfragt, vielleicht korrigiert werden. Es braucht Schulung im Umgang mit dieser Technologie.

Das grösste Risiko beim Einsatz generativer KI sind jedoch Entlassungen. Das geschieht, wenn die einstige KI-Assistentin zur Konkurrentin aufsteigt. Wenn sie Kundenbriefe schreibt, anhand komplizierter Texte eine anschauliche Grafik  zeichnet oder Anlageentscheide fällt, verändert das den Arbeitsplatz jedes zweiten Arbeitnehmenden, schätzen Marktforscher. Je nach Aufgabe stehen wir im Wettlauf gegen die Maschine oder funktionieren als Team. Das Perfide: Mitarbeitende, die KI-Assistentinnen nutzen, schulen sie gleichzeitig. Sie arbeiten sozusagen an der eigenen Entlassung mit. 

Feuerprobe für das Sicherheitsnetz

Sollte es zu Entlassungen kommen, belastet das die Sozialversicherungen. Sie sind von den Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt direkt betroffen.  Ob es zu Kündigungswellen kommen wird, weiss jedoch niemand. Klar ist nur, dass die Finanzbranche gezwungen ist im Kundenservice, Marketing oder Verkauf auf generative KI zurückzugreifen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Und das könnte zur Feuerprobe für das Sozialversicherungssystem werden.