Zinsen steigen – aufatmen?
Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit
Welche wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Spuren der Ukrainekonflikt in der Geschichte hinterlassen wird, lässt sich nicht abschätzten. Die Unsicherheit – sei es aufgrund von Krieg oder Zinsentwicklung – ist jedoch real und wird uns wahrscheinlich noch einige Zeit begleiten. Auf Anleger wirkt sich ein solcher Schock sehr unmittelbar aus. Die globalen Finanzmärkte verhielten sich seit Beginn der Eskalation der russisch-ukrainischen Beziehungen nervös. Die Marktvolatilität nahm zu und dürfte im Jahresverlauf hoch bleiben.
Obwohl das geopolitische Risiko hoch ist, bleiben die Effekte von Kriegen auf die Finanzmärkte historisch gesehen meist kurzlebig. Sofern sich der Krieg auf die Ukraine beschränkt und Russland die Gaslieferungen nach Europa nicht ganz stoppt, darf zu gegebener Zeit mit einer Erholung der Risikoanlagen gerechnet werden. Wäre da nicht noch ein weiteres Sorgenkind.
Geldpolitik bleibt anspruchsvoll
Nebst Russland befindet sich nach wie vor die Geldpolitik im Scheinwerferlicht der Anleger, indem die stark steigenden Energiepreise die Inflationsraten in Europa und den USA befeuern. In der Eurozone stieg die Inflation im Januar entgegen den Erwartungen von 5 auf 5,1 Prozent und in den USA weitete sie sich von 7 auf 7,5 Prozent aus. In der Schweiz ist die Inflation dagegen weniger stark ein Thema.
Während in Europa die Entwicklung noch zur Hälfte durch Energiepreise getrieben ist, geht sie in den USA zunehmend in die Breite: Die Lohnsteigerungen im US-Arbeitsmarkt fielen im Januar überraschend stark aus. Damit ist auch die Basis für den ersten Zinsschritt der US-Notenbank im März 2022 gelegt. Auch für die Europäische Zentralbank scheint ein früherer Ausstieg aus den Pandemie-Kaufprogrammen und ein Zinsschritt 2022 möglich. Das hielten die Finanzmärkte noch vor einigen Wochen für unwahrscheinlich.
Aktienkurse korrigieren
Die veränderten Markterwartungen an die Geldpolitik und der Ukrainekonflikt haben die Aktienmärkte seit Jahresbeginn belastet, obwohl die Unternehmen im vierten Quartal solide Gewinne vermeldet haben. Der Wirtschaft geht es global gut: Analysten prognostizieren für 2022 Gewinnwachstumsraten von 5 bis 10 Prozent. Aber die jüngsten Korrekturen der globalen Aktienmärkte waren trotz der guten Verfassung der Wirtschaft und des Arbeitsmarktes teils voraussehbar: In Zeiten steigender Zinsen gehen die Bewertungen von Aktien historisch gesehen zurück. Somit deckt sich das aktuelle Bild weitgehend mit vergangenen Entwicklungen.
Ende eines Finanzzyklus
Steigende Zinsen sind an und für sich willkommen, weil sie das Ende des expandierenden Finanzzyklus einläuten. In diesem Zyklus steigen die Kredite, die Bewertungen an den Märkten sind hoch, die Risikoprämien sind recht gering. Das heisst: Die Investoren sind bereit, relativ hohe Risiken einzugehen und dafür nur einen geringen Renditeaufschlag zu fordern. Die expansive Geldpolitik hat deshalb die Finanzstabilität gefährdet. Sie hat zu einer übermässigen Verschuldung und zu Überinvestitionen, beispielsweise im Immobilienmarkt, geführt. Das bestätigen auch die Frühwarnindikatoren der Weltbank, welche die Wahrscheinlichkeit von Finanzkrisen signalisieren: Sie schlugen in Zeiten der Nullzinspolitik Alarm.
Endet jedoch ein Finanzboom, bekommt das auch die Realwirtschaft zu spüren. In solchen Abschwüngen kann es zu Bankenkrisen kommen, die gravierendere Rezessionen mit sich bringen als üblich, warnen Ökonomen der Weltbank. Höhere Verwundbarkeiten zeigen sich etwa in einer weltweit gestiegenen Verschuldung. Die Risikoaufschläge bei Unternehmensanleihen seien teilweise niedriger als vor der Pandemie. Und bei den Banken habe sich der Anteil der Kredite an relativ riskantere Unternehmen weiter erhöht.