Ziel: Verantwortliche Aktionäre

Regula Berger ist Juristin und Bereichsleiterin Legal und Compliance bei der Basler Kantonalbank

In der Europäischen Union (EU) ist im September 2020 eine neue Richtlinie in Kraft getreten, die insbesondere Intermediäre wie Banken, unter Umständen aber auch institutionelle Investoren, Vermögensverwalter oder Stimmrechtsberater in der Schweiz betrifft. Es geht um die Aktionärsrechterichtlinie II (EU) 2017/828. Sie soll die Mitwirkung der Aktionäre bei börsennotierten Gesellschaften in der EU fördern und die Beziehung zwischen Gesellschaften und ihren Aktionären transparenter machen. Diese Ziele werden in vier Schritten erreicht: Die Richtlinie sieht erstens die Identifizierung der Aktionäre vor, zweitens Erleichterungen bei der Ausübung von Aktionärsrechten, drittens Transparenzpflichten für institutionelle Anleger, Vermögensverwalter und Stimmrechtsberater, viertens Mitspracherechte der Aktionäre.

Verantwortung übernehmen

Mit der Richtlinie will der Gesetzgeber erreichen, dass Aktionäre insgesamt mehr Verantwortung übernehmen. Da institutionelle Anleger oft bedeutende Aktionäre börsennotierter Gesellschaften sind, können sie eine wichtige Rolle bei der Corporate Governance dieser Gesellschaften, deren Strategie und dem langfristigen Unternehmenserfolg spielen. In der Vergangenheit haben sie sich allerdings eher selten in die Gesellschaften eingebracht. Zudem mangelt es institutionellen Anlegern oft an Transparenz bezüglich ihrer Anlagestrategien, ihrer Mitwirkungspolitik und deren Umsetzung. Durch die neue Richtlinie hofft man, diese Mängel beheben zu können. Die Offenlegung derartiger Informationen könnte sich positiv auf die Sensibilisierung der Anleger auswirken, die Mitwirkung der Aktionäre stärken und ihre Rechenschaftspflicht gegenüber Interessenträgern und der Zivilgesellschaft ausbauen.

Aktionäre weltweit identifizieren

Die Richtlinie und ihre nationalen Ausführungserlasse sind auf Gesellschaften anwendbar, die einerseits ihren Sitz im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) haben. Andererseits müssen die von den Gesellschaften ausgegebenen Wertpapiere zum Handel an einem geregelten Markt im EWR oder in einem Drittstaat zugelassen sein. Die Richtlinie richtet sich insbesondere an Intermediäre sowie institutionelle Anleger (Pensionskassen, Versicherungen, usw.), Vermögensverwalter und Stimmrechtsberater. Die EWR-Mitgliedsstaaten stellen hiermit sicher, dass die Gesellschaften das Recht haben, ihre Aktionäre zu identifizieren. Der Anspruch auf Offenlegung der Aktionäre kann eine Gesellschaft weltweit gegenüber jedem Intermediär geltend machen, der Wertpapiere der Gesellschaft verwahrt. Als Konsequenz dieser Regulierung ist auch die depotführende Bank in der Schweiz als Intermediär verpflichtet, der Gesellschaft auf deren Antrag hin die Identität ihrer Kunden wie beispielsweise einer Pensionskasse, welche Aktionärin ist, mitzuteilen.

Erleichterte Stimmrechtsausübung

Des Weiteren soll die Ausübung von Aktionärsrechten durch die Intermediäre erleichtert werden, indem Vorkehrungen zur Stimmabgabe bei Generalversammlungen getroffen werden. Darunter fällt insbesondere die Abgabe einer Bestätigung des Eingangs der Stimme bei elektronischer Stimmabgabe oder auf Anforderung eine Bestätigung, dass die Stimme wirksam gezählt wurde. Von den Vorgaben zu den Transparenzvorschriften grundsätzlich nicht betroffen sind institutionelle Anleger, Vermögensverwalter und Stimmrechtsberater mit Sitz in der Schweiz. Stimmrechtsberater, welche ihre Tätigkeit über eine Niederlassung in der EU ausüben, fallen wiederum in den Anwendungsbereich.

Mitwirken erwünscht

Bei der Offenlegung von Daten durch Intermediäre werden die Regeln demnach extraterritorial angewendet. Die für die institutionellen Anleger geltenden Transparenzvorschriften sehen dies nicht vor. Auf die Regulierungsstandards in der Schweiz kann sich die Richtlinie trotzdem auswirken. Namentlich auf die Überprüfung der Verordnung gegen übermässige Vergütungen bei börsenkotierten Aktiengesellschaften (VegüV). Unter dieser Prämisse ist interessant zu wissen, welche Pflichten sich für institutionelle Anleger in der EU ergeben. Diese müssen eine Mitwirkungspolitik ausarbeiten und öffentlich bekannt machen, wie sie die Mitwirkung der Aktionäre in ihre Anlagestrategie integrieren. Dazu gehört ein Beschrieb darüber, wie sie die Gesellschaften hinsichtlich Strategie, finanzielle / nicht finanzielle Leistung, Risiko, Kapitalstruktur, soziale und ökologische Auswirkungen sowie Corporate Governance überwachen. Ebenso dargelegt werden muss wie sie Dialoge mit Gesellschaften führen, wie sie Stimmrechte und andere mit Aktien verbundene Rechte ausüben, wie sie mit anderen Aktionären zusammenarbeiten, wie sie mit einschlägigen Interessenträgern der Gesellschaften kommunizieren und wie sie mit tatsächlichen und potenziellen Interessenkonflikten im Zusammenhang mit ihrem Engagement umgehen. Dabei nennen sie jeweils die Art und Weise der Mitwirkung, nicht hingegen den Zweck. Die Richtlinie enthält auch Ergänzungen einerseits zum Mitspracherecht über die Vergütungspolitik der Gesellschaft und andrerseits zu den Entscheidungen bei Geschäften börsennotierter Gesellschaften mit nahestehenden Personen. Einige dieser Regelungen erinnern an die Vorgaben zu den Stimm- und Offenlegungspflichten aus der VegüV, sie sind aber nicht deckungsgleich.

Comly-or-explain

Wer die Vorgaben nicht oder nicht vollständig erfüllen will, muss nach dem Grundsatz «comply-or-explain» erklären, warum dies nicht erfolgt. Für institutionelle Anleger ergibt sich aus der neuen Richtlinie insgesamt eine gesteigerte Transparenz über ihre Inhaberschaft an Aktien und die Ausübung der Aktionärsrechte. Ob damit die Corporate Governance der börsennotierten Zielunternehmen verbessert wird, bleibt abzuwarten. Zudem wird bei der Vielzahl der Transparenzrechte und Transparenzpflichten, sowohl auf Emittenten- als auch auf Anlegerseite, eine Fokussierung auf die wesentlichen Informationen zunehmend wichtig.

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