Wörter in der Waagschale
Von Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit
Die verwendete Terminologie in der sozialen Sicherheit hat grossen Einfluss auf Wissen und Verhalten der Versicherten. Das gilt insbesondere, wenn es um die Altersvorsorge geht. Die Begriffe zur Beschreibung der Regeln für Rentenleistungen der AHV und beruflichen Vorsorge müssen deshalb in die goldene Waagschale geworfen werden. Denn bereits kleine Änderungen in der Wortwahl können grosse Auswirkungen haben. Die amerikanische Studie «The Impact of Social Security Terminology» zeigt, wie Mikroveränderungen in der Informationspolitik messbare Auswirkungen auf die Ruhestandsentscheidung von Millionen von Erwachsenen und auf ihre finanzielle Sicherheit haben können.
Späterer Renteneintritt
Das Experiment: Forschende des Instituts für Wirtschafts- und Sozialforschung der Universität South California stellten in einer repräsentativen Studie Informationen zusammen, die für die Entscheidung, wann Rentenleistungen aus der Sozialversicherung beantragt werden sollen, relevant sind. Die Befragten erhielten zwar dieselben Informationen, aber es wurden unterschiedliche Begriffe dafür verwendet.
Die Unterschiede in den Ergebnissen waren markant, obwohl nur wenig Begriffe geändert wurden. Eine vereinfachte Formulierung beanspruchte weniger Zeit zum Lesen und verbesserte das Verständnis des Sozialversicherungsprogramms. Ausserdem haben hier die Befragten das Renteneintrittsalter um rund zweieinhalb Monate hinausgezögert. Besonders stark waren die Auswirkungen bei Personen mit geringem Finanzwissen. Diese Verhaltensänderungen kamen zustande, weil die Gewinne aus der Verzögerung der Inanspruchnahme von Rentenleistungen besser Verstanden wurden. Auch der Lerneffekt hielt in der Gruppe länger an, der einfache Begriffe vorgelegt wurden.
Begriffe optimieren
Es ist sinnvoll ähnliche Experimente auch in der Schweiz auszurollen, um festzustellen, mit welchen Begriffen der Mechanismus in der Rentenberechnung am besten verstanden wird. Das könnte mehr Klarheit schaffen und zu besseren Entscheidungen führen. Die Menschen könnten die Kompromisse, die beim Entscheid in Rente zu gehen anfallen, besser verstehen.
Wissen fehlt rund um die EL
Nicht alle verstehen das System der Altersvorsorge. Das hat die Studie der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) im Auftrag von Pro Senectute gezeigt: Rund 230 000 Seniorinnen und Senioren in prekären Verhältnissen beziehen keine Ergänzungsleistungen (EL), obwohl sie Anspruch darauf hätten. Das ist alarmierend, geht es doch immerhin um 15,7 Prozent der zu Hause lebenden Menschen über 65 Jahren. Gründe für den Nichtbezug sind primär mangelndes Wissen über die Leistungen der AHV. Eine weitere Rolle spielt ein bewusster Verzicht, weil der Aufwand für einen Antrag zu gross ist oder die ältere Person nicht mehr in der Lage ist, die Formalitäten zu erfüllen. Das muss nicht sein. Es braucht nur mehr Klarheit – sprich bessere Informationen.
Die US-Studie hat auch klar gemacht, dass es wichtig ist, Informationen über verschiedene Kanäle zu streuen. Das erhöht den Lerneffekt. Ob es die Ausgleichskasse, das Bundesamt für Sozialversicherungen, der Schweizerische Pensionskassenverband, die Medien oder Anbieter privater Vorsorgelösungen sind, jeder dieser Kanäle verwendet eine andere Sprache. Das Problem bei den Ergänzungsleistungen ist, es wird noch zu wenig darüber berichtet.
Die Leidtragenden sind vielfach Frauen, Verwitwete, ausländische Staatsangehörige und Personen ohne sekundäre oder tertiäre Ausbildung. Der grösste Anteil dieser Personen wohnt zudem in ländlichen Gemeinden.