Wer wann in Rente geht

Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit

 Das Sozialversicherungsgesetz bietet den Versicherten einen gewissen Spielraum. Zu wissen, wie sie diesen konkret nutzen, ist hilfreich, wenn es um die Ausgestaltung von Reformprojekten geht. Die Studie «Wer wann in Rente geht» vom Bundesamt für Sozialversicherungen liefert erstmals Antworten dazu. Sie zeigt, welche Auswirkungen die AHV21 haben wird. Ausserdem bietet sie Erkenntnisse, um die bevorstehende BVG-Reform zielgerechter zu gestalten. Doch der Reihe nach. Beginnen wir mit der ersten Säule. 

 

Die AHV21 hat zum Ziel, die Finanzierung der ersten Säule sicherzustellen. Dazu wird das Rentenreferenzalter der Frauen um ein Jahr erhöht. Die Massnahme wird ihr Ziel erreichen, das lässt die Forschung zum Rentenbezugsbeginn vermuten. Denn: Die meisten Menschen entscheiden sich, mit 65 Jahren in Pension zu gehen. Das Referenzalter ist der Default, die Norm.  88 Prozent aller beobachteten AHV-Rentenübergänge wählen diesen Zeitpunkt. 

 

Geld entscheidet

Die Versicherten bewegen sich zwar seltenen ausserhalb der Norm. Doch wenn sie es tun, spielen sozioökonomische Faktoren wie Geld oder Zivilstand eine Rolle. Personen mit sehr geringen finanziellen Mitteln – weniger als 50 Prozent des Medianeinkommens – haben eine markant höhere Wahrscheinlichkeit, früh in AHV-Rente zu gehen. Denn  das verbessert in zwei von drei Fällen ihre finanzielle Lage, weil ab Rentenbezug Anspruch auf Ergänzungsleistungen besteht. Deshalb wird Sozialhilfebeziehenden empfohlen, sich vorzeitig zur AHV-Rente anzumelden. Eine erhöhte Wahrscheinlichkeit früh AHV zu beziehen haben auch geschiedene Personen. Vor allem unterhaltspflichtige, geschiedene Männer ziehen finanzielle Vorteile von einem frühen AHV-Bezugsbeginn. 

 

Mit der AHV21 wird der Rentenvorbezug für die beiden Gruppen neu attraktiver: Bei Jahreseinkommen unter 56 880 Franken, wird beim Vorbezug nun um 40 Prozent weniger stark gekürzt als versicherungsmathematisch angebracht wäre. Das wird die AHV zwar belasten, ebenso wie die Ergänzungsleistungen. Das Reformziel gefährdet es aber nicht. Denn die von einigen Parteien gelobte Flexibilisierung der AHV werden kaum mehr Menschen nutzen als bisher. 

 

Das gilt übrigens auch für den Rentenaufschub. Der Glaube, dass Personen mit Erwerbsunterbrüchen fehlende Beitragsjahre nachholen und damit ihre Rente aufbessern ist falsch. Fakt ist: Für den Rentenaufschub entscheiden sich laut Studie vorwiegend Personen, die wirtschaftlich sehr gut gestellt sind. Sie können sich den Rentenaufschub leisten – unabhängig davon, ob sie weiterarbeiten oder nicht. 

 

Gleiche Faktoren – andere Wirkung

In der beruflichen Vorsorge (BV) ist die Entscheidung über das wann komplizierter. Hier nehmen nur 36 Prozent aller Personen einen ordentlichen Bezugsbeginn vor. 52 Prozent beziehen die BV-Rente früh und 12 Prozent spät. Bei der BVG21 spielt es aber weniger eine Rolle wer wann in Rente geht, weil die Renten nicht wie bei der AHV im Umlageverfahren sondern im Kapitaldeckungsverfahren finanziert sind. Wichtig sind die Studienergebnisse, wenn beispielsweise Anreize für eine Erwerbstätigkeit nach Erreichen des Referenzalters geschaffen werden sollen – so wie es die Motion des Nationalrats Jürg Grossen (GL/BE) vorsieht. 

 

Laut Studie wirkt Vermögen  bei AHV und BV diametral entgegengesetzt: Wer über geringe finanzielle Mittel verfügt geht öfters spät in BV-Rente. Gleiches gilt für Frauen und selbstständig Erwerbstätige. Letztere beziehen allgemein seltener eine BV-Rente. Dies spiegelt die schlechtere Absicherung von Selbstständigen in der beruflichen Vorsorge. Mehr dazu lesen Sie ab Seite 2. Dagegen sind frühe BV-Rentenbeziehende insgesamt wirtschaftlich sehr gut gestellt. Personen mit frühem BV-Rentenbezugsbeginn verfügen über alle Bezugszeitpunkte trotz Rentenkürzung über die höchsten Renten. Damit ist klar: Die Motion-Grossen hilft ärmeren Bevölkerungsschichten und ist unterstützenswert.

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