Unzumutbare Liegenschaften
Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit
Viele institutionelle Anleger erkennen: Hohe Renditen sind langfristig ohne Investitionen in ökologische Nachhaltigkeit kaum realisierbar. Das zeigt eine Umfrage des Instituts für Finanzdienstleistungen Zug IFZ der Hochschule Luzern (HSLU) unter Immobilieninvestoren. Für die meisten sind die Risiken bei Immobilien mit schlechter Umweltbilanz – sogenannte Brown Investments – zu hoch. Das zahlt sich nicht aus. Nur wenige der kleineren Pensionskassen (7%) investieren noch in solche Projekte. Bei den Anlagestiftungen liegt der Anteil bei 19 Prozent. Das zeigt: Institutionelle Anleger investieren kaum noch in Immobilien, die gängige Nachhaltigkeitskriterien nicht erfüllen oder bei denen diese durch Sanierungen mit vertretbarem Aufwand nicht erreicht werden können. Das sind gute Nachrichten für die Umwelt, aber schlechte für die Mieterschaft.
Katalysator Energiekrise
Zuerst zur guten Nachricht. Die Energiekrise hat die Vorteile einer raschen Energiewende klar vor Augen geführt. Nun wollen immer mehr Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer ihre Liegenschaften energieeffizient und klimawirksam sanieren oder bauen. Die Nachfrage nach Fördermitteln für energetische Sanierungen und Neubauprojekte erreicht Höchstwerte: 2022 zahlte das Gebäudeprogramm des Bundes 425 Millionen Franken aus – das sind 18 Prozent mehr als im Vorjahr. Die im Jahr 2022 geförderten Massnahmen sparen über ihre Lebensdauer 8,8 Milliarden Kilowattstunden und 2,5 Millionen Tonnen CO2 ein, teilte das Bundesamt für Energie mit. Dieser Erfolg hat aber auch eine Kehrseite.
Am Schluss zahlen die Mieter
Die Verbesserung in der ökologischen Nachhaltigkeit geht zulasten der sozialen Nachhaltigkeit. Denn grüne Sanierungen werden entweder über tiefere Renditen oder höhere Mieteinnahmen finanziert. Pensionskassen entscheiden sich mehrheitlich für letzteres, wie die HSLU-Umfrage zeigt. Sie gewichten wirtschaftliche und ökologische Nachhaltigkeit viel stärker als die soziale. Das sorgt in Zeiten steigender Preise und Wohnungsnot für zusätzliche Spannungen.
Problem: Wohnungsnot
Zu Spannungen kommt es, weil es zu wenig Wohnungen gibt. Denn die Wohnbevölkerung wächst stärker als erwartet. Allein dieses Jahr kommen 148 000 Personen hinzu, während das Bundesamt für Statistik (BFS) im Referenzszenario mit einem Zuwachs von bloss 70 000 Personen gerechnet hat. Die Bevölkerung wächst also doppelt so schnell wie angenommen. Laut einiger Experten sind die falschen Prognosen am Wohnmangel Schuld. Die hohe Nettozuwanderung mag ein Grund für das Angebotsdefizit sein, ein anderer sind steigende Zinsen. Sie führen zu einer schweizweit abnehmenden Bautätigkeit und steigenden Hypothekarzinsen. Diese treiben Wohnungssuchende vermehrt vom Kaufsegment ins Mietsegment.
Politisch inakzeptabel
Solange nun die Nachfrage das Angebot deutlich übertrifft, steigen die Mietpreise bei Neuvermietungen: Im ersten Halbjahr 2023 sind die Angebotsmieten nach Berechnungen von Homegate schweizweit um 1,8 Prozent gestiegen. Den höchsten Mietanstieg verzeichnet die Stadt Zürich mit 8,2 Prozent. Es kommt noch schlimmer: Raiffeisen schätzt, dass der Referenzzinssatz im Dezember auf 1,75 Prozent steigen wird und per April 2024 weitere Mieterhöhungen bewirkt. Die Bank rechnet mit 3 Prozent – mitsamt Teuerungsausgleich.
Das dürfte für soziale Spannungen führen und könnte die soziale Nachhaltigkeit vermehrt in den Fokus politischer Akteure bringen. Im Kanton Bern will beispielsweise eine Miet-Initiative, dass bei einem Wechsel der Mieterschaft die vorherige Miete offengelegt wird. Diese Formularpflicht eingeführt haben bereits acht Kantone. Zu drastischeren Mitteln greift man in Österreich. Dort wird für einen Grossteil der Mieten in den nächsten drei Jahren ein Preisdeckel eingeführt. Hiesige Politikerinnen und Politiker werden kaum so weit gehen. Mit Widerstand müssen Immobilieninvestoren dennoch rechnen. Die Mieterschaft wird sich gegen Mietzinserhöhungen wehren. Das hat der Ansturm auf die Schlichtungsstellen gezeigt.