Studie: Konsumentenschutz durchexerziert

2. November 2015, von Martin Eling
Aktuell laufen politische Diskussionen um eine Neugestaltung des Konsumentenschutzes in der Schweiz. Hierzu zählen etwa die Revision des Versicherungsvertragsgesetzes VVG oder die Neugestaltung des Finanzdienstleistungsgesetzes Fidleg. An den Diskussionen, wie Konsumenten im Versicherungsbereich wirksam und effizient geschützt werden können, sind viele Aktuere beteiligt. Doch die Anspruchsgruppe, die im Zentrum der Diskussionen steht, wurde bisher erst wenig untersucht: Wie stehen eigentlich die Konsumenten zum Konsumentenschutz? Welchen Schutz benötigen sie in welcher Situation?
Wissenslücken müssen geschlossen werden
Eine aktuelle Studie der Universität St. Gallen beschäftigt sich mit diesen Fragestellungen und kommt zu teils wichtigen Erkenntnissen. So zeigt die Studie zum Beispiel erhebliche Wissensdefizite beim Konsumenten auf: 32% der Bevölkerung zeigen erhebliche Defizite im Basisfinanzwissen und zu Versicherungsfragen gibt es noch grössere Defizite. Viele Konsumenten sind bei Versicherungsfragen überfordert und kennen ihre Rechte nicht. Deshalb empfehlen wir hier staatliche wie private Initiativen zur Wissensförderung (Fit for Insurance), damit Kunden Risiken und Versicherungsfragen besser verstehen und so bessere Entscheidungen treffen können. Ebenso schlagen wir neue Initiativen zur besseren Kundeninformation unter Nutzung neuer Medien vor (Digital Coach).
Die Umfrage zeigt auch interessante Unterschiede nach Alter, Geschlecht und Regionen: Je jünger, desto geringer das Versicherungswissen und umso eher werden Entscheidungen delegiert. Dies ist ein Indiz dafür, dass der Aufbau von Versicherungswissen sehr spät geschieht. Das heisst: Das grosse Lernpotenzial in jungen Jahren wird derzeit wenig genutzt. Frauen gehen bei Versicherungsentscheidungen eher pragmatisch vor und weisen ein geringeres Versicherungswissen als Männer auf.
Pragmatiker, Selbstentscheider und Delegierer
Das Verhalten der Schweizer Bevölkerung im Hinblick auf Versicherungsfragen lässt sich durch drei statistisch robuste Gruppen beschreiben: die Gruppe der Pragmatiker (41% der Bevölkerung), die Gruppe der Selbstentscheider (36%) und die Gruppe der Delegierer (23%). Delegierer lassen sich zu einem grossen Teil der französisch- und italienischsprachigen Schweiz zuordnen. In der Deutschschweiz sind hingegen die Pragmatiker und Selbstentscheider überrepräsentiert.
Massgeschneiderter Konsumentenschutz
Die Gruppen haben unterschiedlich grosse Wissenslücken und haben ein unterschiedliches Schutzbedürfnis. Für die Delegierer sind die Berater zentral, entsprechend wichtig ist deren Qualität. Pragmatiker agieren nach dem Motto: «Versicherungen? Lochen und ablegen»; für sie ist aufgrund ihres passiven Informationsverhaltens eine standardisierte Kundeninformation nützlich. Beim Selbstentscheider ist die Schutzbedürftigkeit geringer als in den anderen Gruppen. Sie benötigen weniger Konsumentenschutz.
Die Meinung der Konsumenten zu mehr Konsumentenschutz ist dabei geteilt. So bevorzugen 78% der Befragten eine Wahlfreiheit bezüglich der Vertragslaufzeit und sind bereit, auf Kündigungsmöglichkeiten zu verzichten, wenn dies für sie einen Vorteil (z.B. eine geringere Prämie) bietet. Ein Widerrufsrecht wird dagegen von 61% der befragten Konsumenten befürwortet. Für die Regulierer heisst das: Eine Ausweitung des Konsumentenschutzes sollte nur gezielt und unter Berücksichtigung von Kosten und Nutzen erfolgen.
An der Befragung nahmen 1†‰027 Personen aus der gesamten Schweiz teil. Die Studie wurde im Auftrag des Schweizerischen Versicherungsverbandes SVV durchgeführt.
Autor Martin Eling ist Direktor des Instituts für Versicherungswirtschaft der Universität St. Gallen sowie Co-Autor der Studie «Konsumentenschutz aus Kundensicht: Eine empirische Studie im Schweizer Versicherungsmarkt».