Rentenmodell bis 70 Arbeiten
Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit
Wer früher ins Berufsleben einsteigt, soll früher in Rente gehen, und wer später eine Erwerbsarbeit aufnimmt, soll länger arbeiten. Der Nationalrat will wissen, wie ein Lebensarbeitszeit-Modell in der AHV umgesetzt werden kann. Er hat ein Postulat aus der Mitte-Fraktion angenommen. Das Modell klingt zwar simpel und sozial. Es kann aber das Gegenteil bewirken.
Grenzen lösen sich auf
Bei der Umsetzung des Lebensarbeitszeit-Modells gibt es nämlich zwei Hacken. Erstens ist die im Modell getroffene Prämisse falsch. Die Situation von entweder Bildung oder Erwerbstätigkeit entspricht nicht der Realität. Viele Studierende arbeiten Teilzeit, um sich das Studium zu finanzieren. Zweitens werden Arbeitskarrieren immer häufiger von Bildungsphasen unterbrochen. Der Grund: Die Digitalisierung der Wirtschaft verändert die Berufsbilder und in vielen Berufen sind Weiterbildungen oder Umschulungen erforderlich. Somit lösen sich die Grenzen zwischen Arbeit und Bildung zunehmend auf. Solche Arbeitsunterbrüche sind begrüssenswert, weil sie Arbeitslosigkeit vorbeugen. Es wäre falsch, sie zu bestrafen, indem man dadurch länger arbeiten muss.
Beispiele: In den Berufen der industriellen Produktion sind durch die zunehmend komplexen Fertigungssysteme digitale Problemlösungsfähigkeiten gefragt. Dies stellt vor allem Hilfskräfte vor hohe Bildungshürden. Auch im Detailhandel fallen zunehmend Routinetätigkeiten wie das Kassieren weg. Es entstehen gemischtere Jobprofile, wobei der Fokus verstärkt auf der Beratungskompetenz des Verkaufspersonals liegt. Es muss dafür gesorgt werden, dass solche Arbeitskräfte die nötigen Kompetenzen erwerben können, um in ihren Berufen verbleiben zu können.
Stabilisierungspaket der AHV
Das Bauchgefühl sagt dennoch: Das Lebensarbeitszeit-Modell ist eine gute Sache. Die Absicht dahinter, dass Menschen in bildungsfernen Berufen früher in Rente gehen dürfen als Menschen in bildungsintensiven Berufen, klingt fair. Menschen mit langer Ausbildungszeit haben laut Studien auch eine längere Lebenserwartung.
Der Vorschlag lautet jedoch anders: Gemäss Postulat hätte Anspruch auf eine Rente, wer 44 Jahre lang gearbeitet hat. Wer mit 21 Jahren die Erwerbsarbeit aufnimmt, kann mit 65 Jahren in Rente gehen. Wer erst mit 26 berufstätig wird, würde das Rentenalter mit 70 erreichen. Das heisst, das Rentenalter würde mit einem Schlag um fünf Jahre erhöht. Davon betroffen wäre ein Grossteil der Bevölkerung: Zwei von fünf Erwerbstätigen verfügen über einen Tertiärabschluss. Zudem nimmt laut Bundesamt für Statistik das Bildungsniveau der Bevölkerung stetig zu. So gesehen handelt sich um ein Stabilisierungsprojekt für die AHV. Die Regierung prüft bereits, inwieweit es sich dafür eignet.
Teilzeit-Beschäftigte im Nachteil
Der Bundesrat unterstützt das Postulat. Zuerst muss er aber in einem Bericht darlegen, wie ein solches Modell umgesetzt werden könnte. Der Knackpunkt dabei ist, festzustellen, ab welchem Beschäftigungsgrad von Erwerbstätigkeit gesprochen werden soll. Bereits klar ist, dass das Modell Teilzeitbeschäftigte benachteiligt. Das läuft dem gesellschaftlichen Trend zu mehr Teilzeit entgegen. Damit dürfte der Rückhalt in der Bevölkerung für ein solches Modell gering sein.
SP und Grüne lehnen das Postulat ab mit dem Argument, dass nicht jede lange Ausbildung zu einem Job mit guten Arbeitsbedingungen führe. Interessant am Lebensarbeitszeit-Modell ist jedoch, dass das Rentenalter differenziert betrachtet wird. Die Umsetzung, ist aber schwierig und der Beschäftigungsgrad dürfte der falsche Ansatz dafür sein.