Progression wiederherstellen

Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit

Menschen werden immer älter. Doch die zusätzlichen Lebensjahre sind ungleichmässig in der Bevölkerung verteilt. Zu den Bevorteilten gehören Hochgebildete. Sie leben nicht nur länger als weniger gut gebildete Menschen, sondern geniessen auch eine wesentlich längere Gesundheit. Eine aktuelle Studie zeigt, dass die Differenz an gesunden Lebensjahren zwischen den verschiedenen Bildungsgruppen je nach Land bis zu 16 Jahre beträgt. Kommt hinzu: der Unterschied in der Lebenserwartung vergrössert sich zwischen diesen sozioökonomischen Gruppen zunehmend. Dieser Trend verändert die Umverteilung in der Altersvorsorge und muss diskutiert werden. 

 

Umverteilung auf den Kopf gestellt

Ein Anstieg der Lebenserwartung führt zu längeren Rentenzahlungen. In der Realität profitieren aber nicht alle davon, sondern es betrifft vor allem die Gruppe der Hochgebildeten. Sie zahlen nicht nur später ins Rentensystem ein wegen der längeren Ausbildungsdauer, sondern beziehen ihre Rente auch wesentlich länger. Ein Forschungsteam der Universität Granada hat die Umverteilung aufgrund der Unterschiede in der Lebenserwartung verschiedener Bildungsgruppen untersucht. 

 

Das Ergebnis: Der wachsende Unterschied in der Lebenserwartung kann die Umverteilung im staatlichen Rentensystem (solchen wie der AHV) umdrehen – Haushalte mit niedrigem Bildungsstand finanzieren Haushalte mit hohem Bildungsstand. 

 

Versteckte «Armensteuer»

Die ursprünglich angedachte Umverteilung von einkommensstarken Haushalten zu einkommensschwachen gibt es beispielsweise in Spanien nicht mehr. Die neue Umverteilung kann sogar beziffert werden: Es ist als ob ein durchschnittlicher Haushalt mit niedrigem Bildungsstand mit einer Einkommenssteuer in Höhe von 4 Prozent belastet würde. Ebenso könnte ein durchschnittlicher Hochschulabsolventenhaushalt in den Genuss einer Subvention von fast 13 Prozent kommen (Heterogenity, longevity, redistribution and pension reform, 2021). Wenn sich der Trend einer wachsenden Kluft in der Lebenserwartung fortsetzt, werden diese versteckten Steuern und Subventionen weiter zunehmen.

 

Progression wiederherstellen

Diese versteckte Subventionierung respektive Besteuerung ist unfair und sozialpolitisch nicht erwünscht. Es müssen Massnahmen diskutiert werden, wie diese Umverteilungseffekte verhindert werden können. Es gibt grundsätzlich drei Möglichkeiten. Erstens kann das gesetzliche Rentenalter an die Lebenserwartung einer sozioökonomischen Gruppen gekoppelt sein. Dabei sollte gelten: Je höher die Lebenserwartung, desto höher das Rentenalter. 

 

Zweitens kann die Rente für Haushalte mit niedrigem Bildungsstand erhöht werden. Am einfachsten geht das über eine Erhöhung der Mindestrente. Die spanische Studie zeigt, dass es die effektivste Massnahme zur Wiederherstellung der Progression ist. Das kann allerdings Bedenken hinsichtlich der Tragfähigkeit des  Rentensystems aufwerfen. 

 

Drittens können unterschiedliche Beitragssätze eingeführt werden, wobei mit höherem Bildungsniveau die Beitragssätze steigen sollten. Denn die Abstufung bei den Beitragssätzen wirkt wie eine progressive Steuer und kann die Progressivität im Rentensystem wiederherstellen. Zudem kann dadurch die Tragfähigkeit des Rentensystems verbessert werden. 

 

Bei einer nächsten AHV-Reform müssten diese Massnahmen in Kombination diskutiert werden – mit dem Ziel die AHV-Finanzierung sicherzustellen und die Progression wiederherzustellen. 

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