Nur Fakten sichern unser Sozialsystem

von Ignazio Cassis
Nationalrat (FDP/TI), Präsident der nationalrätlichen
Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK-N)

 

Die nächsten zwei Jahre darf ich die Kommission für Soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-N) präsidieren. Es ist mir ein grosses Anliegen, die Debatten innerhalb der Kommission zu versachlichen (evidence based policy). Viele Diskussionen in der SGK-N sind stark ideologisch oder gar von Wunschdenken geprägt – obwohl die Fakten ja eigentlich auf dem Tisch lägen.

Man muss nicht Mathematiker, Aktuar oder Versicherungsexperte sein, um zu wissen, dass wir das Sozialsystem langfristig an die Wand fahren, wenn keine Reformen an die Hand genommen werden.Zwei Beispiele zeigen, wo der Reformbedarf nicht von der Hand zu weisen ist, die Debatten dazu aber weitab der Fakten geführt werden.

Beginn der Ära der Rentenboomer

Durch die stetig steigende Lebenserwartung hat sich seit Einführung der AHV die Zeitspanne des Rentenbezuges beinahe verdoppelt. Aus den Babyboomer werden Rentenboomer. Diese Zahlen liegen auf dem Tisch und sind für die nächsten 20 Jahre voraussehbar. Fragen Sie auf der Strasse junge Leute nach Ihrer Meinung zur AHV. Die Antwort wird eine Variation sein von: «AHV? Ich erhalte doch keine AHV mehr!». Die Lage der AHV ist also bekannt.

Auch die Linke weiss, dass 2030 die AHV ein jährliches Defizit von mehr als 8 Milliarden Franken aufweisen wird. Bei Annahme der Volksinitiative «AHV Plus» würde dieses jährliche Defizit um zusätzliche 5,5 Milliarden ansteigen. Wie kann man dann allen Ernstes eine Rentenerhöhung um 10% verlangen, wie es die SP macht?

Dies ist nicht nur Wunschdenken, sondern auch Irreführung der Wählerschaft. Die Reform der Altersvorsorge ist nun dringlich, weil verschiedene Anläufe bereits gescheitert sind. Einen Plan B gibt es nicht. Es gibt nur eines: Eine rasche, faktenbasierte Behandlung der Vorlage. Nur so können wir einen Schuldenberg (wie in der IV) verhindern und vernünftige Renten sichern. Für ideologische Debatten haben wir weder Zeit noch Geld. Die Solidargemeinschaft ist kein Fass ohne Boden.

Umstritten: Zulassungsstopp im KVG

Das zweite Beispiel einer ideologisch aufgeblähten Debatte ist der Ärztestopp. Die Diskussion über ein mögliches Aussetzen des Zulassungsstopps wird insbesondere in der Romandie geradezu «apokalyptisch» geführt – dies obwohl keine prämiensenkende Wirkung bewiesen worden ist. Die Kosten im ambulanten Bereich sind in Kantonen mit und ohne Zulassungsstopp gleich angestiegen.

Auf den ersten Blick wirkt dieses planwirtschaftliche Instrument verführerisch, aber näher betrachtet hat es bisher nur eines bewirkt: Eine Verschiebung der Kosten weg von der privaten Arztpraxis, hin zum spitalambulanten Bereich. Es nützt nichts, die Probleme vor sich her zu schieben und einfach eine Verlagerung der Kosten zu bewirken.

Qualität hat immer ihren Preis

Wir brauchen eine ehrliche Diskussion und eine kritische Bewertung der tatsächlichen Wirkungen des Zulassungsstopps auf die Kostenentwicklung und nicht auf die Anzahl zugelassener Ärzte. Es ist an der Zeit, Kriterien wie Qualität und Preis wieder ins Zentrum der Diskussion zu rücken – gerade auch um des Konsumenten willens.

Mit ist bewusst, dass eine faktenbasierte Diskussion ein hehrer Wunsch ist. In der Politik genügt es, die Mehrheit zu haben, auch wenn man falsch liegt. Um «gut» diskutieren zu können, müssen aber die Partner willig sein, aufeinander einzugehen. Die Kommission zählt 25 Mitglieder, die alle die Welt aus einem unterschiedlichen Blickwinkel sehen. Mein Wunsch ist es, die Führung der Beratung so sachlich wie möglich zu gestalten, um aufgeklärte Entschiede zu treffen, ohne stets Wahlmarketing zu betreiben.

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