Mehr Ungleichheit im Sozialstaat

Interview mit Wirtschaftsprofessor Florian Scheuer

Das in Privathand befindliche Vermögen in der Schweiz hat sich seit der Jahrtausendwende verdoppelt. Werden wir immer reicher?

Florian Scheuer: Ja, das zeigen sowohl die Vermögensdaten pro Kopf als auch im Verhältnis zum BIP. Der Vermögenszuwachs ist zu einem beträchtlichen Teil darauf zurückzuführen, dass die Schweiz im Nachgang der Finanzkrise viel stärker zulegen konnte als andere Länder.

Was sind die Gründe dafür?

Die Sparquoten haben sich erhöht, aber vor allem auch die Immobilienpreise sind hierzulande im internationalen Vergleich enorm gestiegen.

Wie viel Vermögen in der Schweiz ist liquide?

Etwa ein Viertel ist in der Vorsorge wie Pensionskassen gebunden. Fast die Hälfte der Vermögen sind Immobilien. Und der Rest ist zwar als liquide zu betrachten, wird aber meist auch nicht «verbraucht», was man an den steigenden Erbschaften sieht. Das Vermögen pro Kopf in der Schweiz beträgt knapp eine halbe Million Franken – wir sind reich. Es handelt sich dabei nur um einen Durchschnittswert. Sehr Viele haben viel weniger und sehr Wenige haben viel mehr. Der Median liegt viel niedriger. Gemäss dem neusten Global Wealth Report der Credit Suisse sind es rund 135 000 Franken. Und in den USA liegt er relativ nahe bei null. Die Hälfte der US-Bevölkerung hat also kein Vermögen oder sogar Schulden, obwohl das Vermögen pro Kopf im Schnitt ebenfalls rund eine halbe Million US-Dollar beträgt. Generell gilt auch für die Schweiz, im internationalen Vergleich ist das Vermögen relativ ungleich verteilt. Hier bildet das Fundament des Reichtums das Betongold.

Könnte diese Vermögensblase bald platzen?

Die Regulierung in der Schweiz ist sehr streng. Die hohen Tragbarkeitsregeln in der Schweiz schliessen aber aktuell viele Menschen wegen des zu niedrigen Einkommens vom Immobilienkauf aus.

Ein sicherer Immobilienmarkt bedeutet also auch gleichzeitig, dass sich kaum jemand mehr ein Eigenheim leisten kann?

Ja, dieser Trade-off führt dazu, dass wir immer noch eine relative hohe Mietquote haben und ein grosser Teil der Leute davon ausgeschlossen war von den hohen Preissteigerungen der Immobilien in den letzten 20 Jahren zu profitieren. Reiche profitieren dafür umso mehr, weil sie im aktuellen Zinsumfeld neue Immobilien problemlos refinanzieren können. Die Schere der Vermögen ging und geht also weiterhin auseinander.

Welche Instrumente gäbe es, dies zu ändern?

Es macht auch in der Schweiz immer noch einen steuerrelevanten Unterschied, ob ihr Einkommen aus Lohnarbeit besteht oder ob es aus Kapitalgewinnen stammt. Da in der Schweiz Kapitalgewinne steuerfrei sind, wird oft auf die Vermögenssteuer hingewiesen, die als Ausgleich fungieren soll. Diese fällt aber in den meisten Kantonen so moderat aus, dass keine wesentliche Umverteilung der Vermögen stattfindet.

Hat die Pandemie bestehende Trends in der Vermögensungleichheit verschärft?

Ganz klar. Das grosse Kapital ist unbeschadeter durch die Krise gekommen als der Kleinsparer. Weltweit mussten kleinere Vermögen etwa wegen Lohnausfällen angezapft werden. Grosse Vermögen sind hingegen eher noch weiter angewachsen.

Eine stärkere Belastung der Kapitaleinkünfte würde die Ungleichheit mildern?

Das wäre denkbar, denn die Kapitaleinkommen sind bei den Superreichen konzentriert.

Interview: Simon Stahl

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