Mehr Bildung – mehr arbeiten

Von Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit

Das Rentenalter für alle Menschen gleich anzusetzen, ist ungerecht. Die Datenerhebungen zur Sterblichkeit zeigt: Die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen Menschen mit hohem und niedrigem Bildungsstand sind markant. Die Konsequenz: Die Renten von Hochschulabsolventinnen und -absolventen werden systematisch durch Menschen mit niedrigem Bildungsniveau mitfinanziert. 

Gebildete leben länger

Statistiker haben in der OECD-Studie «Inequalities in longevity by education» die Bevölkerungen aus 23 OECD-Ländern nach Alter, Geschlecht, Bildung und Todesursachen untersucht. Das Resultat: Der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Menschen mit hohem und niedrigem Bildungsstand lag im Durchschnitt bei 8 Jahren für Männer und 5 Jahren für Frauen im Alter von 25 Jahren. Die relativen Ungleichheiten in der Lebenserwartung nehmen mit dem Alter zu: Im Alter von 65 Jahren beträgt der Unterschied 3,5 Jahre bei Männern und 2,5 Jahre bei Frauen. 

Grösste Kluft beträgt 14 Jahre

Dieses Muster zieht sich über alle Länder hinweg, aber mit verschiedener Ausprägung. Unterschiede in der Langlebigkeit sind besonders ausgeprägt in Lettland, Polen und Ungarn und relativ klein in Italien. Im Alter von 25 Jahren variiert die Kluft in der Lebenserwartung von Männern mit hohem und niedrigem Bildungsstand zwischen 4 Jahren in Kanada und 14 Jahren in Ungarn. Bei Frauen liegen die Extreme bei 2,5 Jahren in Italien und 8 Jahren in Lettland. Die Schweiz war nicht Teil der Untersuchung. Der Zusammenhang besteht auch hierzulande, wie die Sterbetafeln des Bundesamtes für Statistik offenlegen.

Häufigster Mortalitätsgrund

Gebildete leben eindeutig länger. Stellt sich die Frage nach dem warum. Die Daten zeigen: Die häufigste Todesursache für alle Geschlechts- und Bildungsgruppen nach dem 65 sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie führen bei Menschen mit niedrigem Bildungsniveau aber öfter zum Tod. Kardiovaskuläre Probleme erklären sogar den Grossteil der Mortalitätsunterschiede zwischen Menschen mit hohem und niedrigem Bildungsstand. 

Berechenbare Differenz

Die Sozial- und Gesundheitspolitik muss sich diesem Befund gewahr werden. Denn die Unterschiede in der Lebenserwartung zwischen Menschen mit niedriger und hoher Bildung erklären etwa 10 Prozent der Gesamtungleichheit im Sterbealter. Die Unterschiede in der Lebenserwartung korrelieren also mit dem Bildungsstand und sie sind voraussehbar. Das bedeutet zweierlei: Erstens sollte sich das im System der Altersvorsorge spiegeln – tut es aber nicht. Zweitens wirkt sich die Bildungspolitik indirekt auf die Bevölkerungsalterung aus. Da das Bildungsniveau in der Schweiz wächst, dürfte auch die Lebenserwartung der Gesamtbevölkerung zunehmen. Die Sterblichkeitsentwicklung hängt aber noch von zahlreichen weiteren Faktoren ab wie Umwelt oder Gesundheit.

Auf Kosten der Anderen

In der aktuellen Diskussion um das Rentenalter muss die Bildung jedenfalls mitberücksichtigt werden: Konsequenterweise sollte das Rentenalter für Hochschulabsolventen um einige Jahre höher liegen als das Rentenalter ungelernter Arbeitskräfte. Aktuell gilt über alle Bildungsgruppen das gleiche Rentenalter. Gut gebildete leben aber länger und beanspruchen daher auch länger Renten. 

Dieser sozioökonomische Aspekt der Sterblichkeit impliziert zudem, dass sich Langlebigkeits- und Einkommensungleichheiten gegenseitig verstärken.  Sozialpolitiker halten vor diesen Befunden noch beide Augen zu.

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