Massnahmenkataloge werden immer länger
von Susanne Kapfinger,
Ökonomin und Redaktionsleiterin AWP Soziale Sicherheit
Es weht ein frischer Wind in der Debatte rund um die Reform der Altersvorsorge. Wichtige Akteure der Sozialen Sicherheit und Interessenvertreter diskutieren in der Öffentlichkeit über neue Ideen, die über die bundesrätlichen Vorschläge hinausgehen. Für den Nationalrat wird es immer schwieriger das «Beste» daraus zu ziehen. Die Frage lautet, was kann und soll in die Reformvorlage AV2020 verpackt werden.
Der Konsens: Die geplanten Reformen der Altersvorsorge 2020, die derzeit von der nationalrätlichen Kommission beraten werden, gehen in die richtige Richtung. So wird beispielsweise die Senkung des Umwandlungssatzes bei den Pensionskassen weitgehend akzeptiert. Ebenso wird eine Flexibilisierung des Rentenalters und die Angleichung des Rentenalters der Frauen an dasjenige der Männer bejaht. Für einige geht das aber nicht weit genug: Sie erweitern den Massnahmenkatalog zur längerfristigen Sicherung der Altersvorsorge.
Auch länger einzahlen ergibt mehr
Der Konzernchef des Lebensversicherers Swiss Life, Patrick Frost, schlägt zur Sicherung der Altersvorsorge drei Massnahmen vor: Erstens sollen mit zunehmendem Alter die BVG-Beiträge sinken. Zweitens sollen Jüngere dazu gebracht werden, früher in die Pensionskasse einzuzahlen. Und drittens soll es Älteren künftig freistehen, den für sie richtigen Zeitpunkt ihrer Pensionierung zu wählen. Die Schweiz soll damit von der starren Altersguillotine 65 befreit werden.
Dabei gilt es neue Arbeitszeit- und Lebensphasenmodelle zu entwickeln, die aber ein komplettes Umdenken bei der Altersvorsorge voraussetzen. Die SBB macht es vor: Seit Mai können Mitarbeitende ab 60 das Modell Activa wählen. Es erlaubt ihnen, das Arbeitspensum vor dem ordentlichen Pensionierungsalter zu senken und dafür über die Pensionierung hinaus reduziert weiterzuarbeiten. Die Verlängerung ist auf drei Jahre limitiert.
Weniger Arbeitskräfte belastet AHV
Solche Anreize machen nicht nur in der beruflichen Vorsorge Sinn. Auch der AHV kämen einige Massnahmen zugute. Hängt doch die Finanzierung der AHV wesentlich vom Arbeitsmarkt ab. Die Finanzierung im Umlageverfahren gerät in Schwierigkeiten, wenn der Pool an Arbeitskräften schrumpft oder wenn die Löhne weniger stark steigen als in der Vergangenheit. Das Problem: Laut Schätzungen des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes SAV werden in der Schweiz im Jahr 2025, wenn die Generation der Babyboomer in Pension ist, eine halbe Million Arbeitskräfte fehlen. Der Arbeitsmarkt wird folglich schrumpfen. Die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative könnte diesen Prozess noch akzentuieren. Dabei war das Umlageergebnis bereits 2015 mit 600 Millionen Franken negativ. Es besteht daher Handlungsbedarf.
Damit die über 55-Jährigen auf dem Arbeitsmarkt bleiben, müssen sie wettbewerbsfähig sein. Mit den abgestuften Altersgutschriften sind sie es nicht: Die Altersgutschrift für einen 34-Jährigen beträgt 7%, für den 45-Jährigen 15% und ab 55 sind es 18%. Eine solche Abstufung ist nicht mehr zeitgemäss.
Massnahmen müssen aber auch bei der AHV auf weiteren Ebenen ergriffen werden. Erstens: Die Finanzierung der AHV muss durch Anhebung der Lohnbeiträge oder – wie vom Bundesrat vorgeschlagen – der Mehrwertsteuer sichergestellt werden. Zweitens: Das Rentenalter ist an die gestiegene Lebenserwartung anzupassen. Ob diese Forderung nicht besser losgelöst von AV2020 in einer neuen Vorlage gestellt werden sollte, beantworten die Sozialpolitiker Ruth Humbel und Toni Bortoluzzi in der aktuellen Ausgabe.
Leider liegt die Schlüsselfrage bei der Reformvorlage nicht in der nachhaltigsten Lösung, sondern in der Frage nach der Akzeptanz beim Volk. So gesehen ergibt die Forderung von linker Seite, die Rentensenkung in der 2. Säule durch eine Erhöhung der AHV-Rente abzufedern, plötzlich Sinn. Der Ständerat hält eine AHV-Rentenerhöhung von 70 Franken für angemessen.
Dies zeigt: Die Reform wird das Problem der nachhaltigen Finanzierung auch beim «besten» Willen in dieser Vorlage nicht für lange Zeit lösen können.