Grundeinkommen als Lösung?

Von Susanne Kapfinger, Leiterin der Redaktion AWP Soziale Sicherheit

Eine Gesellschaft, die immer älter wird, eine Wirtschaft, die sich auf Kosten von Arbeitsplätzen immer mehr automatisiert: Das stellt die Sozialwerke vor grosse Herausforderungen. Viele Städte und Gemeinden haben erkannt, dass es grundlegende Neuerungen braucht. Einfacher, effektiver und gerechter soll das soziale Sicherheitsnetz sein. Könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen diese Anforderung erfüllen? Die Idee findet immer breitere Zustimmung, auch in liberal geprägten Ländern wie den USA. Die Idee wird hier nur anders verpackt: als Freiheitsdividende. 

Wer ist Andrew Yang?

An vorderster Front kämpft Andrew Yang für die Freiheitsdividende. Als Kandidat im vergangenen Rennen um die US-Präsidentschaft versprach er, ein universelles Grundeinkommen von 1 000 Dollar im Monat für alle Über-18-Jährigen einzuführen. Das würde allen Amerikanern ermöglichen, Rechnungen zu bezahlen, sich weiterzubilden, gesund zu bleiben, ein Unternehmen zu gründen oder sich um Angehörige zu kümmern, so Yang. Der politische Aussenseiter Yang zog sich zwar früh aus dem Präsidentschaftswahlkampf zurück. Doch die Idee vom Grundeinkommen blieb in den Köpfen der Wählerinnen und Wähler hängen – und macht ihn nun zum Spitzenreiter im Rennen um den nächsten Bürgermeister von New York City, der am 22. Juni gewählt wird. Auch für die Bürger der Metropole stellt Yang ein bedingungsloses Grundeinkommen in Aussicht. Aus ökonomischer Sicht spricht einiges dafür: mehr Wirtschaftswachstum und Beschäftigung zum Beispiel. Auf nationaler Ebene würde ein bedingungsloses Grundeinkommen die Wirtschaft laut Yang bis 2025 um rund 12,5 Prozent oder etwa 2,5 Billionen US-Dollar wachsen lassen und die Anzahl Erwerbstätiger um 4,5 Millionen erhöhen.

Freiheit statt Abhängigkeit

Die Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft werden derzeit gründlich untersucht: Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat in diesem Jahr ein dreijähriges Pilotprojekt zum bedingungslosen Grundeinkommen gestartet. 122 Menschen erhalten drei Jahre lang 1 200 Euro pro Monat. Einen Fokus legt die Studie auf die Finanzierbarkeit. Grundsätzlich gibt es drei Finanzierungsmöglichkeiten: über Steuern, über Beiträge oder über Lenkungsabgaben. In dieser Hinsicht gleicht das bedingungslose Grundeinkommen den Sozialversicherungen. Während Leistungen aus den Sozialversicherungen allerdings an bestimmte Bedingungen geknüpft sind, wird das Grundeinkommen in jedem Fall ausbezahlt. Keine Abhängigkeit also, dafür frei verfügbares Einkommen. Das ändert das Verhalten der Menschen auf drei Ebenen, wie ein finnisches Experiment aus dem Jahr 2018 gezeigt hat: Erstens senkt ein Grundeinkommen nicht – wie man vielleicht meinen würde – den Anreiz zu arbeiten, sondern kann ihn leicht erhöhen. Zweitens schafft es Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten. Drittens macht es gesünder.

Zürich will es wissen

In der Schweiz wurde 2016 eine nationale Initiative zum bedingungslosen Grundeinkommen von den Stimmberechtigten abgelehnt. Das hat Vorstösse in diese Richtung allerdings nicht lahmgelegt: Im Mai 2020 unterstützte der Zürcher Kantonsrat eine Einzelinitiative für einen wissenschaftlich begleiteten Pilotversuch. Im Kanton Aargau ist eine Volksinitiative für ein Grundeinkommen lanciert worden. Und in der Stadt Zürich kommt die städtische Initiative «Wissenschaftlicher Pilotversuch Grundeinkommen» demnächst vors Volk.

Erfahrungswerte tun Not

Was diese Experimente kosten werden, ist ungewiss. Die Berechnungen seien komplex, sagen die Initianten, weil das Grundeinkommen gegen Sozialleistungen aufgerechnet werden muss, die teilweise nicht mehr ausbezahlt werden. Wie sich die Versuchspersonen verhalten werden, ist ebenso fraglich. Die Experimente sollen Erfahrungswerte liefern. Solche Erfahrungswerte sind zwingend nötig. Nur so können wir annähernd abschätzen, ob das bedingungslose Grundeinkommen tatsächlich eine Lösung für die riesigen sozialen und ökonomischen Herausforderungen sein könnte, die uns allen bevorstehen

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