Mut zur lückenlosen Rente
Von Susanne Kapfinger, Redaktionsleiterin AWP Soziale Sicherheit
Erstmals Mutter mit 35 – Das ist in der Schweiz die Regel. Der Anteil Frauen, die mit 35 plus ihr erstes Kind gebären, steigt, während die Zahl jüngerer Mütter stark rückläufig ist. In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich der Anteil jüngerer Mütter (unter 30 Jahren) von 69 auf 27 Prozent verringert.
Die aufgeschobene Mutterschaft ist ein Trend, der nicht nur in der Schweiz, sondern auch in vielen Industriestaaten beobachtet werden kann. Die Konsequenzen sind laut einer Allianz-Studie überall dieselben: Aufgeschobene Mutterschaft kann helfen, die Einkommens- und Rentenlücke zu verringern. Das ist positiv. Gleichzeitig beschleunigt der Trend die Bevölkerungsalterung. Das stellt die Sozialversicherungssysteme vor Herausforderungen.
Bevölkerungsalterung beschleunigt
Die Gründe für eine aufgeschobene Mutterschaft sind vielfältig. Doch tendenziell investieren junge Frauen heute mehr Zeit in ihre Ausbildung und Karriere, bevor sie eine Familie gründen. Die verschobene Mutterschaft wirkt sich auf zwei Ebenen aus.
Einerseits kann sie den Geburtenrückgang und damit die Alterung der Gesellschaft weiter verschärfen. Denn je älter die Mutter bei der Erstgeburt ist, desto höher ist das Risiko, dass der Wunsch nach einem weiteren Kind unerfüllt bleibt oder fallen gelassen wird – trotz der Fortschritte in der Reproduktionsmedizin. Die Zahlen dazu: In der Schweiz erreichte die Geburtenzahl 2020 mit rund 86 000 Lebendgeburten ein neues Rekordtief – trotz Bevölkerungswachstum. Zwei Jahre zuvor waren es noch 88 000. Dieser Trend verschärft die Probleme in der Altervorsorge, die durch die steigende Lebenserwartung entstehen.
Individuell von Vorteil
Andrerseits kann auf individueller Ebene ein Aufschieben der Mutterschaft dazu beitragen, die Einkommens- und Rentenunterschiede zwischen Männern und Frauen zu verringern, weil in Ausbildung investiert wird. Die durchschnittliche Rente einer Frau im Alter von 65 plus in der EU war 2019 laut Studie um 29 Prozent niedriger als die ihrer männlichen Altersgenossen. Die Schweiz und die USA bilden hier keine Ausnahmen: Deren Rentenunterschiede bewegen sich in ähnlicher Höhe. Allerdings ist die durchschnittliche Rentenlücke in den vergangenen Jahren leicht gesunken. Dieser Rückgang des durchschnittlichen Rentengefälles spiegelt die Zunahme der Erwerbsbeteiligung von Frauen und die damit in Zusammenhang stehende Aufschiebung der Mutterschaft in den letzten Jahrzehnten.
Investitionslücke schliessen
Die bessere Rentensituation ist ein begrüssenswerter Fortschritt. Dieser Trend kann die Rentenlücke aber nicht schliessen. Die Kinderpause und andere Karriereunterbrüche führen nun mal zu Einkommenslücken und später zu Renteneinbussen. Das Problem ist, dass vielen die Rentenlücke nicht bewusst ist oder es fehlt das nötige Finanzwissen, um die Lücke zu schliessen. Die Investitionslücke kann aber trotzdem geschlossen werden. Dazu braucht es den politischen Willen, eine Lösung zu finden.