Gig-Arbeiter sollen vorsorgen
Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit
Bei Sozialpolitikerinnen und -Politikern läuten die Alarmglocken. Sorgen macht ihnen die Gig-Economy oder Auftrags-Wirtschaft mit ihren Selbstständigerwerbenden. Denn viele leisten keine Beiträge an die zweite Säule, was sich im alter einmal rächen wird. Nicht nur ist die Rente tiefer, auch das Risiko für Altersarmut ist höher. In der Folge benötigen diese Menschen häufiger als andere Ergänzungsleistungen zur AHV. Das belegt eine neue Studie des Bundesrates.
Gig-Arbeiter besonders gefährdet
Aufgeschreckt vom jüngsten Kostenanstieg bei den Ergänzungsleistungen haben Sozialpolitiker den Bundesrat beauftragt die Vorsorgesituation jener Selbstständiger zu untersuchen, die keine Mitarbeitenden beschäftigen und kleine, geringfügige Aufträge ausführen. Das Ergebnis lässt aufhorchen: Diese Erwerbsgruppe bezieht seltener Leistungen aus der beruflichen Vorsorge und der Säule 3a als ehemals Arbeitnehmende. Dafür sind sie häufiger auf Ergänzungsleistungen zur AHV angewiesen. Deutlich gefährdet sind ältere Personen, die eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen – insbesondere, wenn sie davor angestellt waren und ihre Vorsorgeguthaben verwenden.
Gig-Arbeiterinnen und -Arbeiter haben ein Vorsorgeproblem und dafür braucht es Lösungen. Denn mit dem Aufkommen digitaler Plattformen kommt ein weiteres Problem hinzu: Nicht selten handle es sich hierbei um Schwarzarbeit, meint die Eidgenössische Finanzkontrolle. Die Auftragnehmer melden ihren Verdienst weder der Steuerbehörde noch der Sozialversicherungsanstalt. So entgingen den Steuerbehörden mehrere Milliarden Franken und der Schwarzarbeiter steht später ohne Rente da, berichtet die Behörde im SRF-Podcast.
Obligatorium ist vom Tisch
Ein Lösungsansatz für das Vorsorgeproblem wäre die Erweiterung der obligatorischen Berufsvorsorge auf Selbstständigerwerbende. Dagegen sprechen jedoch drei Gründe. Erstens: Eine gute Altersvorsorge setzt voraus, dass genügend Einkommen erzielt wird. Das stellt aber bei den beiden Risikogruppen das grösste Hindernis dar. Zweitens wäre das Versicherungsobligatorium für die Mehrheit nach Ansicht des Bundesrates zu teuer. Drittens schützt die Kombination mehrerer gering bezahlter Tätigkeiten nicht unbedingt vor möglichen Vorsorgelücken, solange in der beruflichen Vorsorge eine Eintrittsschwelle für die obligatorische Versicherung gilt. Mit anderen Worten: Wenn das Gesamteinkommen aller Erwerbstätigkeiten unter dem Koordinationsabzug bleibt, hilft auch ein Obligatorium nicht weiter.
Nötige Optimierungsmassnahmen
Das Obligatorium für Selbstständige ist damit vom Tisch. Es müssen also andere Wege eingeschlagen werden. In der Studie des Bundesrates werden drei Lösungsansätze genannt. Erstens müssen die Risikogruppen verstärkt über Versicherungsmöglichkeiten informiert werden. Zweitens braucht es ein breiteres Angebot für die berufliche Vorsorge. Drittens könnte ein Schutz der Austrittsleistung sicherstellen, dass das Deckungsniveau vor Beginn der Selbstständigkeit erhalten bleibt. Bei Personen, die selbstständige und unselbstständige Tätigkeiten kombinieren, wäre es zudem denkbar, die steuerliche Abzugsfähigkeit der Säule 3a-Beiträge im Vergleich zu Arbeitnehmenden zu erhöhen.
Lösung für alle
Das Phänomen Gig-Ökonomie wird bleiben und mehr Menschen anziehen. Es braucht deshalb politische Lösungen statt Bundesgerichtsentscheide. Im Kanton Genf haben Bundesrichterinnen und -richter das Vorsorgeproblem der Uber-Fahrer gelöst. Sie wurden als Arbeitnehmer eingestuft. Der Plattformbetreiber muss Beiträge in die 2. Säule zahlen. Es wäre zu kostspielig auch für andere Gig-Arbeiter den Richterspruch zu erzwingen. Es braucht eine andere Lösung.