Gerechter – moderner – besser
Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit
Nach der Abstimmung über die AHV-Reform geht die Diskussion um die Zukunft des Rentensystems unvermindert weiter. Zur Debatte stehen zahlreiche Motionen, Petitionen und Volksinitiativen. Sie verfolgen alle das Ziel, die Altersvorsorge gerechter, moderner und besser zu gestalten. Das Wahlergebnis zeigte, wie nötig das ist: Obwohl die Menschen laut Umfragen besorgt um die Altersvorsorge waren, hiess nur etwas über die Hälfte der Stimmbürgerinnen und Stimmbürger die Reform gut – es gab fast so viele Unzufriedene. Auch deshalb müssen weitere Schritte folgen.
Lebensarbeitszeit ist sozial gerecht
Laut Umfragen gibt es Ansatzpunkte. Einer davon ist die Lebensarbeitszeit. Gemäss Generationenbarometer sind 63 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer für die Einführung der Lebensarbeitszeit. Massgebend für die Pensionierung soll neu die Zahl der geleisteten Arbeitsjahre sein – und nicht mehr das Referenzalter, das nun bei Frauen und Männern gleichermassen bei 65 Jahren liegt. Die Umfrage wurde im Auftrag des Berner Generationenhauses vom Zürcher Forschungsinstitut Sotomo erstellt. Diese Idee stösst auch im Parlament auf Interesse.
Der Hintergrund: Wenn Menschen mit langem Bildungsweg länger auf dem Arbeitsmarkt bleiben, zahlen sie länger ins Vorsorgesystem ein. Das macht das System stabiler, weil zwischen Bildungsabschluss und Einkommen ein enger Zusammenhang besteht: Je höher der Bildungsgrad, desto höher das Einkommen. Ausserdem wäre es gerecht, wenn alle gleich lang in die AHV einzahlen würden. Zumal Menschen mit hohem Einkommen respektive hohem Bildungsgrad gemäss Bundesstatistik länger leben als Einkommensschwache.
Heiratsstrafe abschaffen
Doch nicht nur in puncto Beitragsjahre gibt es derzeit Ungleichheiten. Auch verheiratete und in eingetragener Partnerschaft lebende Menschen fühlen sich von der AHV ungerecht behandelt: Sie bekommen insgesamt höchstens 150 Prozent der Maximalrente von Alleinstehenden. Mitte-Politikerinnen und -Politiker wollen das mit einer Volksinitiative ändern und eine Kürzung der Rentensumme eines Ehepaares verfassungsmässig verbieten. Das Volksbegehren «Ja zu fairen AHV-Renten auch für Ehepaare» kommt aktuell in die nächste Phase: Die Bundeskanzlei hat dem Komitee für die Unterschriftensammlung grünes Licht erteilt. Die Sammelfrist läuft bis zum 27. März 2024.
Die Erhöhung der Ehepaar-Maximalrente würde die AHV-Finanzen belasten – immerhin geht es laut Angaben des Bundes um rund 250 000 Rentner-Ehepaare. Es scheint trotzdem gerecht, die Diskriminierung von Verheirateten gegenüber Nichtverheirateten oder im Konkubinat lebenden aufzulösen. Dabei vergessen wird aber, dass die AHV-Leistungen für Konkubinatspaare keine Witwen- beziehungsweise Witwerrenten vorsehen. Hinterbliebene Kinder können zwar eine Waisenrente beanspruchen, da aussereheliche und eheliche Kinder einander gleichgestellt sind. Das rückt die Diskriminierung von Ehepaaren dennoch in ein anderes Licht. Es zeigt auch, wie eng die Sozialleistungen miteinander verzahnt sind: Wenn die Heiratsstrafe abgeschafft würde, müsste im Gegenzug auch den hinterbliebenen Konkubinatspartnern geholfen werden, um der Diskriminierung im Vorsorgesystem die Stirn zu bieten.
Steuerbonus für Pensionierte
In engem Zusammenhang zur Lebensarbeitszeit steht auch die Diskussion rund um die Altersarbeit – beide Anliegen sind Versuche, das Rentenalter nicht als Altersguillotine zu verstehen. Der Nationalrat will die freiwillige Erwerbstätigkeit nach Erreichen des ordentlichen Rentenalters steuerlich begünstigen. Der Hintergedanke: Es würden finanzielle Polster zur Abfederung steigender Betreuungskosten im Alter gebildet. Damit würde auch ein Beitrag gegen den Fachkräftemangel geleistet. Die entsprechende Motion geht derzeit in den Ständerat. Der Bundesrat stellte sich vorerst dagegen – er will einen Bericht abwarten, in dem steuerliche Anreize zur Förderung der Erwerbstätigkeit grundsätzlich geprüft werden. Der Bericht wird 2023 vorliegen.