Es braucht Antworten auf die Gen-Analyse

08. Mai 2019, von Susanne Kapfinger

Die Forschung am Erbgut eröffnet nie dagewesene Möglichkeiten: Diagnose dank Gen-Analyse, Therapie dank zielgerichteter Genom-Veränderung, Prävention dank Epigenetik. Personalisierte Medizin oder Nanobiotechnologie hat ein riesiges Potenzial, hat aber auch einen hohen Preis. 

Drei neue Kostentreiber

Wird das Potenzial der Nanomedizin umgesetzt, können viele Krankheiten sehr früh diagnostiziert und behandelt werden.  Das erhöht die Lebensqualität, hat aber auch Schattenseiten: Erstens werden Menschen mit frühdiagnostischen Instrumenten nach Krankheiten suchen, an denen sie noch gar nicht leiden, und die vielleicht auch nie Probleme gemacht hätten. Es ist zu befürchten, dass durch Überdiagnose und Übertherapie neue Herausforderungen auf die Kostenträger zukommen.

Zweitens sind die Behandlungen extrem kostspielig. Sie können bis zu sechsstellige Frankenbeträge ausweisen. Es darf zwar damit gerechnet werden, dass diese Heilverfahren bei breiterer Anwendung billiger werden. Der Haken aber ist, dass die gewonnenen Lebensjahre den Preis mitbestimmen. Das könnte eine Preisspirale nach oben auslösen, die von den realen Kosten abgekoppelt ist. 

Drittens steigen die Ausgaben, wenn sich das Anwendungssprektrum ausweitet. Vorerst können Gentherapien nur bei monogenen Krankheiten angewendet werden. Darunter fallen Erb-Augenkrankheiten, Taubheit, familiäre Alzheimer-Demenz oder viele Muskelerkrankungen. Bei solchen ist nur ein Gen für den Ausbruch der Krankheit verantwortlich. Immerhin leiden 5 bis 7 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz unter einer monogenen Krankheit. 

Umstrittene Finanzierung

Wir als Gesellschaft müssen deshalb eine Kostendiskussion beginnen. Zu klären ist, was man im Rahmen der obligatorischen Krankenversicherung auszugeben bereit ist, wieviel ein gewonnenes Lebensjahr kosten darf und wer das Ganze bezahlt.

Das Gesundheitssystem scheint für neue Therapien noch nicht bereit zu sein: Nach Ansicht der Versicherungen sind gentechnologische Veränderung von Zellen – analog der Stammzellentherapie – medizinische Verfahren und keine Produkte. Aus ihrer Sicht gehören sie deshalb nicht auf die Spezialitätenliste und sind nicht von der obligatorischen Krankenversicherung zu übernehmen. 

Die Krankenversicherer schlagen vor, sie im Rahmen der Krankenpflegeleistungsverordnung zu regeln. Es ist naheliegend, dass sie das so sehen, weil die Kantone dann 55 Prozent der stationären Kosten übernehmen müssten.

Anderer Meinung ist der Bund und Swissmedic. Das Schweizerische Heilmittelinstitut hat bereits viele Medikamente mit gentechnologisch hergestellten Wirkstoffen zugelassen. Einige davon setzte das Bundesamt für Gesundheit (BAG) auf die Spezialitätenliste. Eine umfassende Beurteilung und Regulierung der Vergütung von Gentherapien ist im Moment noch in Abklärung.

Die Pharmaindustrie hätte am liebsten neue Finanzierungsmodelle: Der gängige Standardprozess sei für die Vergütung innovativer Therapien nicht geeignet. Der Vorschlag: Eine erfolgsabhängige Vergütung der Kosten. Die Krankenkassen zahlen nur, wenn eine Gentherapie anschlägt und die Krankheit erfolgreich bekämpft. 

Auf dieses Modell hat sich Novartis in den USA mit zwei staatlichen Versicherern eingelassen. Gezahlt wird nur, wenn der Krebs einen Monat nach der Behandlung zurückgeht. Die Schwierigkeit liegt hier in der genauen Messung des Erfolgs sowie der damit verbundenen Aufwände. Ein weiteres Finanzierungsmodell: Anstatt dass die Kosten einer Gentherapie auf ein Mal und gleich zu Beginn der Behandlung zu Buche schlagen, wird gestaffelt gezahlt. So können die Krankenversicherungen die Aufwände besser kalkulieren, da die Kosten am Therapieerfolg bemessen werden können.

Gen-Analyse lohnt sich für Patienten

Fragt man die Spitäler, lohnt sich der Einsatz von teuerer Nanotechnologie, obwohl die Geräte zur DNS-Sequenzierung über 500 000 Franken kosten und nach zwei bis drei Jahren häufig schon veraltet sind. Die bessere Diagnostik resultiert in einer effektiveren Behandlung und führt zu kürzeren Aufenthaltszeiten und einem geringeren Bettenbedarf. Das Unispital Zürich erstellt deshalb bei allen Tumorpatienten eine molekulare Diagnose. Demnächst wird sie an Herzpatienten angewendet.

Die Zahlen sprechen für sich: In der Onkologie behandelte man vor fünf Jahren noch 90 Prozent der Patienten stationär und 10 Prozent ambulant. 2018 war dieses Verhältnis umgekehrt. Die Lebensqualität vieler Patienten ist dadurch gestiegen.

Prämien- und Steuerzahler gefordert

Es ist kaum voraussehbar, wie Innovationen in der Gentechnik die Gesundheitskosten insgesamt beeinflussen werden. Klar ist, dass die Solidarität im System der obligatorischen Krankenversicherung Grenzen hat. Die Steuer- und Prämienzahler haben zu entscheiden, ob sie auf Genetik setzen wollen. 

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