Digitales Gesundheitsmonitoring

Gesundheitsrisiken lassen sich immer präziser vorhersagen. Nur: Ändern wir deshalb unser Verhalten? Karin Frick, Leiterin Research und GL-Mitglied Gottlieb-Duttweiler-Institut (GDI), ist skeptisch.

Aufgrund des technischen Fortschritts der Bio- und Informationstechnologie verfügen wir heute über so viele Daten wie nie zuvor. Sie stammen zum einen aus Genanalysen, die immer schneller und billiger werden. Zum anderen erzeugt die zunehmende Nutzung von mobilen Geräten riesige Mengen von persönlichen Verhaltensdaten. Dabei ist das Potenzial von z.B. Smartphonedaten für die Gesundheit noch kaum erkannt. Doch bereits heute weiss Google oder mein Telco-Provider mehr über meine individuellen Gesundheitsrisiken als mein Arzt oder meine Versicherung. Durch die Auswertung von Suchanfragen kann Google zum Beispiel den Verlauf von Grippe-Epidemien vorhersagen oder kritische Wechselwirkungen zwischen Medikamenten früher erkennen als jede Behörde.

Die Masse machts

In Zukunft werden Smartphones noch viel mehr wertvolle Gesundheitsinformationen liefern. Die nächste Generation von mobilen Geräten wie Google-Brillen und iPhone-Uhren werden wir direkt am Körper tragen. Sie zeichnen alles auf, was wir tun, mit wem wir kommunizieren, wie viel wir uns bewegen, was wir essen, wie wir uns fühlen, wie wir schlafen. Auch die Messung von Vitalwerten wie Puls, Blutdruck und Blutzucker gehören bald zur Standardausstattung von mobilen Kommunikationsgeräten. Die Auswertung der Kommunikations- und Bewegungsmuster von einer sehr grossen Zahl von Menschen ermöglicht es, auch individuelle Gesundheitsrisiken immer besser vorherzusagen. Zurzeit entwickeln verschiedene Unternehmen Gesundheits-Apps, die gezielt zur Vorhersage eingesetzt werden sollen. Beispiel: Ginger IO ist eine Smartphone-App, die zwei Tage im Voraus sagen kann, ob eine Depression ausbricht.

Apps statt Pillen

Mit der Verdatung des Lebens erhält die Medizin somit eine neue Grundlage. Bisher gehen die meisten Menschen erst zum Arzt, wenn gesundheitliche Beschwerden auftreten. Wenn wir nun aufgrund von immer besseren Prognosemöglichkeiten unsere Gesundheitsrisiken früher kennen, setzt die Behandlung oder besser die Prävention viel früher an, idealerweise lange bevor eine Krankheit ausbricht. Damit verschiebt sich der Fokus der Behandlung von der Diagnose zur Prognose.
In Zukunft werden Therapie und Prognose immer stärker verschmelzen (= Thera-gnostik). Der Fokus der Behandlung wird sich allmählich verschieben von Pillen auf Apps, die den individuellen Gesundheitszustand kontinuierlich beobachten. So werden zum Beispiel statt einem Schlafmittel Schlaf-Apps verschrieben, die den individuellen Schlafrhythmus überwachen und das Verhalten coachen.
Angenommen, die Vorhersagen der Prediction-Tools werden immer präziser, zuverlässiger, und immer mehr Menschen setzen sie regelmässig ein: Was werden sie tun, wenn ihnen diese Systeme ein signifikant erhöhtes Risiko vorhersagen, an Krebs oder Alzheimer zu erkranken? Die Anbieter von Predictive Analytics versprechen: Je mehr man über potenzielle Risiken weiss, umso besser kann man sie vermeiden. Man erstellt Prognosen, weil man annimmt/hofft, dass Menschen aufgrund von besserem Wissen rationaler entscheiden und aufgrund besserer Einsicht gesundheitsgefährdende Verhaltensweisen unterlassen. Leider zeigen die Ergebnisse der Verhaltensforschung, dass Menschen meistens nicht rational, sondern emotional entscheiden. Die meisten Menschen sind von Natur aus optimistisch, sie glauben, dass sie die «glückliche Ausnahme» sind und die Krankheit sie nicht treffen wird – und sie darum auch nichts dagegen unternehmen müssen. Eine schlechte Prognose wird oft auch ganz ignoriert. So führt auch allgemein Bekanntes und unumstrittenes Wissen über die Folgen von Rauchen/übermässigem Alkoholkonsum nicht zwingend zu Verhaltensänderungen.

Kontrolle ja, aber wieviel?

Sollen Prognosen erfolgreich sein, ist ein vernetztes Denken gefragt und die Kooperation über Branchengrenzen hinweg. Ohne Vernetzung der Daten bleibt prediktive Medizin eine Fiktion. Ob und wie intensiv wir Prognose- und Selbstbeobachtungstools in Zukunft nutzen, hängt aber wesentlich davon ab, ob wir damit – gefühlt – mehr Kontrolle über unser Leben gewinnen. Oder im Gegenteil fürchten, von einigen wenigen übermächtigen Organisationen total kontrolliert und manipuliert zu werden.

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