Die Suche nach der modernen Rentenformel
28. November 2018, von Susanne Kapfinger
Während europäische Länder ihre Altersvorsorgesysteme konsequent an die neuen demografischen und gesellschaftlichen Realitäten anpassen, lassen die notwendigen strukturellen Anpassungen in der Schweiz auf sich warten. Der Blick ins Ausland könnte uns als Inspiration dienen. Der Fokus dabei sollte auf den Stellschrauben Rentenformel und Lebensarbeitszeit liegen.
Nachhaltigkeit als fester Bestandteil
Moderne Rentenformeln sind auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Konkret handelt es sich dabei um Automatismen, die je nach Rentensystem unterschiedlich ausgestaltet werden.
Der Nachhaltigkeitsfaktor in der umlagefinanzierten Rentenformel bedeutet, dass bei einer Reduktion des Altersquotienten oder der volkswirtschaftlichen Lohnsumme – und damit des Beitragsvolumens – automatisch auch die Renten sinken. Gleichzeitig erhöhen sich die Renten, wenn die Kennzahlen steigen. In Deutschland beispielsweise wird diese Formel nicht nur für Neurentner, sondern auch für laufende Renten angewendet. Es wird das Prinzip der Gleichbehandlung verfolgt.
In der kapitalfinanzierten Rentenformel bedeutet Nachhaltigkeit, dass man eine Koppelrente einführt bestehend aus Grundrente plus kapitalmarktabhängiger Zusatzrente.
Solche Automatismen sind bereits zentrale Bestandteile vieler Rentensysteme. Schweden hat 2003 automatische Ausgleichsmechanismen eingeführt, die sich nicht nur an Veränderungen des wirtschaftlichen (sinkende Kapitalerträge), aber auch des demografischen Umfelds (längere Lebenserwartung) anpassen. Wenn sich die wirtschaftliche Lage verbessert, steigt das Rentenniveau, verschlechtert sich hingegen das wirtschaftliche oder das demografische Umfeld, sinkt es.
Solche Automatismen schonen die Finanzlage der jeweiligen Vorsorgesysteme. Der Nachteil: Sie könnten die Volkswirtschaft negativ beeinflussen: Konjunkturabhängige Renten verstärken den Konjunkturzyklus. Erhält ein Rentner in der Rezession weniger Einkommen, konsumiert er weniger, was die Wirtschaftsleistung zusätzlich beeinträchtigt. Da der Rentneranteil in der Bevölkerung wächst, dürfte dieser Trigger immer stärker werden.
Vor der Einführung neuer Automatismen, gilt es abzuschätzen, was das für den Schweizer Konjunkturzyklus bedeutet. Untersuchungen dazu fehlen.
Positive Anreize schaffen
Eine weitere Stellschraube betrifft das länger Arbeiten respektive die Ausdehnung der Lebensarbeitszeit. Es gibt prinzipiell zwei Wege das Ziel zu erreichen. Entweder man diktiert ein höheres Rentenalter oder motiviert die Bevölkerung zum späteren Rentenbezug. Umfragen zeigen, dass es besser ist, Menschen die Wahl zu lassen. Damit Erwerbstätige freiwillig länger arbeiten sind jedoch Anpassungen notwendig.
Erstens braucht es den flexiblen Renteneintritt. So, dass der Übergang vom Erwerbsleben in die Rente fliessend möglich ist, etwa in Form von Teilpensionierungen.
Norwegen (siehe Seite 5) hat ähnlich wie Schweden ein solches System eingeführt: Wer will, darf mit 62 Jahren in den Ruhestand – muss aber mit Rentenabschlägen rechnen. Oder er bezieht die Maximalrente ab 75 Jahren. Die vorzeitige Altersrente lässt sich als Vollrente oder als Teilrente zu 20, 40, 50, 60 oder 80 Prozent in Anspruch nehmen. Sie bemisst sich an gezahlten Beiträgen, ist aber auch an die durchschnittliche Lebenserwartung gekoppelt. Steigt diese, muss länger gearbeitet werden, um ein bestimmtes Rentenniveau zu erreichen.
Zweitens müssen positive Anreize geschaffen werden. Dazu zählen beispielsweise die geringere Besteuerung der Erwerbseinkommen ab 65 oder tiefere Sozialbeiträge. Wichtig ist, dass die Massnahmen wettbewerbsneutral ausgestaltet sind. Das heisst, dass auf dem Arbeitsmarkt dadurch keine Diskriminierung stattfindet.
Schlüssel: Grenzkosten der Arbeit
Es braucht hierzulande eine gesellschaftliche Diskussion, die über die Angstmacher Rentenaltererhöhung und Rentenkürzung hinausgeht. Stattdessen müssen wir die Arbeit für ältere Arbeitnehmer lohnenswerter machen – die Grenzkosten der Arbeit müssen sinken. Das wird schliesslich die Lebensarbeitszeit ausdehnen.