Die Krux mit der Durchschnittsrente
Die erste Neurenten-Statisik offenbart zwei wichtige Erkenntnisse. Erstens: Es gibt ihn nicht, den Rentner. Rentenbezüger sind eine höchst heterogene Gruppe: Unterschiede bestehen im Renteneintrittsalter, in der Rentenhöhe und im Kapitalbezug. Die durchschnittlichen Rentenhöhen geben einen Hinweis darauf, wie arm oder reich die Neurentner des Jahres 2015 sind. Wissenschaftlich validierbare Aussagen sind aber erst möglich, wenn Daten über mehrere Jahre zur Verfügung stehen. Die erste Neurenten-Statistik erlaubt bloss eine Momentaufnahme.
Zweitens: Arbeitnehmer handhaben den Ausstieg aus dem Berufsleben sehr flexibel. In der 2. Säule ist die Frühpensionierung bei denen, die es sich leisten können – also die Hochqualifizierten –, sehr beliebt. Vor diesem Hintergrund ist auch der Weiterbildungsauftrag des Bundesrates für ältere Arbeitnehmende und Geringqualifiizierte zu betrachten. Die Ausrichtung auf geringqualifizierte, ältere Arbeitnehmer ist genau richtig.
Säulenverhältnisse im Rentenbereich
Im Jahr 2015 haben rund 87 000 Personen erstmals eine Altersrente aus der AHV bezogen, 33 000 Personen eine aus der beruflichen Vorsorge (BV). Es wurden rund 2,5 mal mehr AHV-Renten gesprochen als BV-Renten. Das hat zwei Gründe. Erstens wird in der 2. Säule die Flexibilität beim Rentenbezug ausgeschöpft: 17,7% der Frauen und Männer, die 2015 das gesetzliche Rentenalter erreicht haben, bezogen eine Rente aus der BV. In der AHV wird die Flexibilität nicht wahrgenommen, wo fast alle (86%) die Rente mit 65 respektive 64 beziehen. Dies trotz der Möglichkeit des Vorbezugs von zwei Jahren und der Aufschiebung von fünf Jahre.
Zweitens steht die 2. Säule nicht jedem offen. Für den Zugang zur obligatorischen beruflichen Vorsorge ist ein Mindesteinkommen erforderlich. Im Zuge der Altersreform AV2020 soll dieser Zugang nun weiter geöffnet werden, indem der Koordinationsabzug sinkt. Teilzeitangestellte und Tieflohnempfänger profitieren langfristig davon. Das ist gut. Besser wäre, den Koordinationsabzug abzuschaffen.
Arme und reiche Rentner
Betrachtet man die Höhe der Renten, so dreht sich das Säulenverhältnis teils. Die durchschnittliche AHV-Neurente der Männer betrug 1 912 Franken, die der Frauen 1 724. Die 1. Säule wirkt wegen der für alle geltenden Versicherungspflicht und der Minimal- und Maximalrente stark nivellierend.
Die durchschnittliche BV-Neurente lag bei 2 724 Franken. Wobei diejenige der Männer 3 278 Franken betrug, diejenige der Frauen 1 839. Bei Männern ist eine BV-Rente 1,7 mal grösser als eine AHV-Rente. Bei Frauen beträgt das Säulenverhältnis hingegen eins zu eins.
Der Grund dafür liegt in der Erwerbsbiografie (Erwerbsunterbrüche, Teilzeitbeschäftigung) und der Einkommenshöhe. 2015 arbeiteten zwei Drittel der Frauen Teilzeit. Bei Männern waren es 16%. Zudem beträgt der geschlechtsspezifische Lohnunterschied in der Schweiz aktuell rund 20%. Ohne diesen, würde die BV-Rente der Frauen wesentlich höher ausfallen.
Wieviel Rente die Neurrentner insgesamt beziehen ist aus der Statistik nicht ersichtlich. Inuitiv würde man die Durchschnittswerte der beiden Säulen zusammenzählen. Die Annahme dabei ist, dassdie BV-Neurenten der vorigen und nächsten Jahre in etwa denen von 2015 entsprechen. Dann kommt man auf eine Durchschnittsrente für Männer von insgesamt 5 190 Franken und 3 563 für Frauen. Das ist teils mehr als ein Arbeitnehmer am unteren Ende der Lohnskala erhält (siehe Seite 7). Dazu zählen die Branchen Detailhandel, Gastgewerbe/Beherbergung und persönliche Dienstleistungen. Für junge Erwerbstätige aus diesen Branchen sind Rentner «reich». Für die Jungen ist die Umverteilung innerhalb der 2. Säule aufgrund unterschiedlicher Verzinsung der Alterkapitalien (Rentner/Aktivversicherte) besonders bitter. Die Reform wird die Umverteilung abschwächen, indem der Mindestumwandlungssatz sinkt.
Verzerrungen bei den Berechnungen
Nicht in die Wohlstandsrechnung aufgenommen wurden allfällige Kapitalbezüge. Die Lage der Rentner würde sich noch besser präsentieren. Allerdings muss man auch festhalten, dass einige sehr hohe Renten den Mittelwert erhöhen. Der Median der BV-Renten liegt in der Regel tiefer als der Mittelwert (Durchschnitt).
Susanne Kapfinger ist Ökonomin und leitet die Redaktion
AWP Soziale Sicherheit