Die Defizite des Alters auffangen
Von Susanne Kapfinger, Redaktionsleiterin AWP Soziale Sicherheit
Die Alterung der Bevölkerung hat zwei Ausprägungen mit unterschiedlichen volkswirtschaftlichen Konsequenzen. Einerseits sinkt die Anzahl Erwerbstätiger im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung. Damit wird es immer schwieriger, Sozialversicherungssysteme wie die AHV oder Krankenversicherung zu finanzieren. Diese Finanzierungsprobleme versucht die Politik zu lösen. Eine Massnahme ist die geplante Reform AV21.
Demgegenüber wird die zweite Ausprägung der Bevölkerungsalterung, nämlich das steigende Durchschnittsalter der Erwerbstätigen, weniger stark thematisiert und die damit verbundenen Probleme vernachlässigt. Wenn das Durchschnittsalter steigt, stellen sich Fragen zur Produktivität, Innovationskraft und Mobilität. Sind ältere Beschäftigte weniger produktiv, weniger innovativ und weniger mobil? Das Wissen, wie Alterung auf diese Trias wirkt, ist entscheidend für effiziente wirtschaftspolitische Massnahmen.
Mittleres Alter am produktivsten
Mit Blick auf die Produktivitätswirkung des Alters liefern diverse Studien Hinweise auf einen positiven Einfluss des Anteils der mittleren Jahrgänge auf die betriebliche Produktivität. Mit zunehmenden Alter nimmt die Produktivität einen umgekehrt u-förmigen Verlauf. Einen anderen Verlauf nimmt die Lohnkurve. Sie steigt mit zunehmendem Alter. Das heisst, dass die produktivste Altersgruppe der 40-bis 50-Jährigen im Vergleich zu den älteren oder jüngeren Altersgruppen deutlich unter Produktivität entlohnt wird. Mit anderen Worten: Ältere verdienen gemessen an ihrer Produktivität zu viel.
Daraus lassen sich drei Konsequenzen ableiten. Erstens haben Betriebe eine hohe Neigung Ältere durch Personen aus dem mittleren Alterssegment zu ersetzen. Zweitens ergibt sich mit der Alterung ein negativer Einfluss auf die Produktivität. Drittens münden dadurch Rentenaltererhöhungen und der Abbau von Frühverrentungsmöglichkeiten in einer steigenden Arbeitslosigkeit in der Altersgruppe «50 plus».
Die Gegenmassnahme könnte darin bestehen, das Lohn-Produktivitäts-Verhältnis der ältesten Beschäftigtengruppe zu verändern. Das kann über Weiterbildung, Arbeitsorganisation, Gesundheitsförderung oder Lohnanpassungen geschehen.
Problemfeld Innovation
Hinsichtlich des Einflusses der Altersstruktur auf das betriebliche Innovationsverhalten ergibt eine Untersuchung des Instituts für Wirtschaftsforschung Halle ebenfalls Belege für einen umgekehrt u-förmigen Verlauf: Der betriebliche Innovationsprozess wird am stärksten von der Altersgruppe der 40- bis 50-jährigen getrieben. Auch das wird den Produktivitätverlauf belasten.
Ein weiterer Befund der Analyse betrifft die Wirkung von Altersheterogenität. Der erwartete positive Innovationseinfluss einer altersgemischten Belegschaft konnte hier nicht belegt werden. Im Gegenteil: Altershomogene Gruppen weisen sogar eine höhere Innovationkraft aus als gemischte. Eine Stärkung homogener Gruppen wäre naheliegend.
Mobilität nimmt ab
Was die Mobilitätseffekte des Alters betrifft, so besagen Studienergebnisse, dass ein höheres Alter der Erwerbstätigen die betriebliche und berufliche Jobmobilität dämpft. Dies hat zwei Gründe. Erstens verbessert sich der Lohn Älterer durch einen Wechsel nur vergleichsweise wenig oder überhaupt nicht. Für sie gibt es keine finanziellen Mobilitätsanreize, was die Bereitschaft senkt, den Job zu wechseln. Zweitens nimmt die Agilität, und somit auch die Wechselneigung, mit dem Alter ab.
Die Arbeitsmarktmobilität ist jedoch wichtig. Sie sorgt dafür, dass Arbeitskräfte dort eingesetzt werden, wo sie den grössten Nutzen bringen, und sie kann Arbeitslosigkeit verhindern. Die Arbeitsmobilität erhöhen können – wie bereits besprochen – abflachende statt steigende Lohnprofile.
Das Sekretariat für Wirtschaft (Seco) prognostiziert, dass sich das Wirtschaftswachstum aufgrund der Bevölkerungsalterung in den nächsten Jahrzehnten halbieren wird. Dies jedoch nur unter der Annahme, dass keine wirtschaftspolitischen Schritte eingeleitet werden und die Marktteilnehmer ihr Verhalten nicht ändern. Wenn wir aber Massnahmen einleiten, die die Defizite des Alters hinsichtlich Produktivität, Innovation und Mobilität auffangen helfen, verbessert das auch die Wachstumsprognose der Seco.