Datenschutz über alles?
Von Susanne Kapfinger, Leiterin der Redaktion AWP Soziale Sicherheit
Es wird immer populärer, Lebensdaten aufzuzeichnen. Der Grund dafür ist einfach: Es macht Spass, sich beispielsweise beim Schrittezählen ein Ziel zu setzen und es zu erreichen. Das messen vitaler Funktionen hat aber auch einen weiteren Effekt: Es schafft ein besseres Bewusstsein für das eigene Tun. Untersuchungen zeigen, dass Health Tracking zu Verhaltensänderungen führen kann (dazu mehr ab Seite 2): Wer misst, verhält sich gesünder. Es liesse sich sogar noch mehr Nutzen aus den Lebensdaten ziehen. Dazu müsste man sie aber an Fachpersonen weitergeben. Spätestens hier hört der Spass für viele auf. Zu gross ist die Skepsis bezüglich dem Sammeln und Weitergeben persönlicher Daten.
Ohne Vertrauen läuft nichts
Mit der Weitergabe persönlicher Daten verbunden ist die Angst vor Datenmissbrauch, Kontrolle und Überwachung. Das Extrembeispiel hierfür stellt Chinas Sozialkreditsystem dar. Das System zeichnet das Verhalten der Bevölkerung auf, bewertet es und sanktioniert Einzelpersonen.
Datenschutzgesetze verhindern, dass solche Auswüchse auch bei uns Einzug halten. Dabei kann jedoch jeder Einzelne für sich entscheiden, wie hoch er dieses Schutzschild halten will. Die Entscheidung darüber, ob Lebensdaten geteilt werden, hängt von zwei Faktoren ab: Vertrauen und Nutzen. Im Gesundheitswesen erhalten Hausärzte das grösste Stück vom Vertrauenskuchen: Laut einer Sotomo-Umfrage würden mehr als vier Fünftel der Befragten Lebensdaten an die Hausärztin weitergeben. Daten mit der Krankenversicherung teilen? Das würde hingegen nur ein Fünftel der Befragten tun – das Vertrauen ist deutlich geringer.
Der zweite entscheidende Faktor ist der persönliche Nutzen. Die Weitergabe von Lebensdaten hat dann einen Nutzen, wenn dadurch beispielsweise Krankheiten früher diagnostizierbar sind. Oder wenn daraus Gesundheitsempfehlungen entstehen. Wenn der persönliche Nutzen genug gross ist, sind viele auch bereit, Abstriche beim Datenschutz hinzunehmen.
Datenschutz mit Vorbehalten
Wie Vertrauen und Nutzen hinsichtlich Datenschutz zusammenspielen, hat sich während der Corona-Pandemie eindrücklich gezeigt. Das beste Beispiel dafür: die Einführung der SwissCovid-App. Die App erfüllt nachweislich hohe Datenschutzstandards – ist also vertrauenswürdig – und bietet durch die Kontaktverfolgung einen Mehrwert für die Gesellschaft. Die Bevölkerung nutzt die App trotzdem mit Zurückhaltung und stellt Datenschutzbedenken in den Raum. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Ausschlaggebend ist: Wer die App nutzt, zieht selber keinen direkten Nutzen daraus – und wer die App meidet, erfährt keine Einschränkungen. Nur wenn mehr Freiheiten im Alltag möglich werden, steigt die Bereitschaft für markante Lockerungen beim Datenschutz.
Der Beweis: Die Bereitschaft, sich in Gaststätten mit persönlichen Daten digital zu registrieren, ist relativ hoch, obwohl hier das Risiko von Datenmissbrauch höher ist. Das Risiko wird aber im Austausch für einen kurzen Restaurantbesuch in Kauf genommen.
Mehrwert für alle
Das sind wichtige Erkenntnisse. Denn mit der Überwachung von Handydaten könnten weitere globalen Gesundheiskrisen frühzeitig eingedämmt werden. Taiwan oder Südkorea waren mit solchen Methoden erfolgreich in der Pandemie-Bekämpfung. Der Mehrwert für die Gesellschaft, der dadurch entsteht ist offensichtlich bedeutend genug, dass die Lockerung beim Datenschutz hingenommen wird. Die Politik sollte vielleicht neue Anreize finden, die helfen, das Gemeinwohl zu maximieren.