Aufstieg der Seniorenschaft
Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit
Erwerbstätige werden immer älter: In der Schweiz hat sich das durchschnittliche Alter der Erwerbsbevölkerung zwischen 1991 und 2022 von 39 auf 42 Jahre erhöht. Das spiegelt sich auch in den Erwerbsquoten. Sie sind innerhalb der letzten 20 Jahre insbesondere bei den über 64 Jährigen um einige Prozentpunkte gestiegen. Sogar 74-Jährige beteiligten sich 2020 noch am Erwerbsleben: 7 Prozent Frauen und 14 Prozent Männer. Daraus zu folgern, das Rentenalter müsse generell erhöht werden, ist aber falsch. Es braucht differenzierte Lösungen.
Erfahrung ist nicht alles
Eine alternde Erwerbsbevölkerung wirkt sich auf Staat, Wirtschaft und Unternehmen aus. Längere Karrieren generieren mehr Steuereinnahmen und steigern das BIP – sofern die Produktivität mit der Alterung der Erwerbsbevölkerung nicht abnimmt. Das ist positiv. Aus Arbeitgebersicht ist ein höheres Angebot an älteren Arbeitnehmern jedoch ein zweischneidiges Schwert. Einerseits schaffen ältere Arbeitnehmer Wert, wenn sie über Erfahrungen und Fähigkeiten in Bezug auf Kunden, interne Abläufe und Lieferanten verfügen. Fraglich ist, ob sie über die nötigen Fähigkeiten für den Betrieb und die Wartung von neuen Geräten und Software verfügen, und ob sie sich rasch an Veränderungen anpassen können. Anderseits bedeuten längere Karrieren weniger Fluktuation, was zu Einsparungen bei Such- und Einstellungskosten und stärkeren Anreizen für Weiterbildungsinvestitionen führt. Gleichzeitig sehen sich Unternehmen mit höheren Löhnen und Sozialleistungen für ältere Arbeitnehmer konfrontiert. Zudem bevorzugen sie flexiblere Arbeitszeiten. An einigen Arbeitsplätzen ist das möglich, an anderen nicht. Arbeitgeber wählen den Altersmix je nach dem, wie diese Faktoren zusammenspielen. Deshalb gibt es auch Branchen mit sehr unterschiedlichem Altersmix.
Keine homogene Alterung
Es macht deshalb kaum Sinn das Rentenalter generell zu erhöhen. Das schafft soziale Ungerechtigkeiten. Die Gründe: Erstens altert die Bevölkerung in ihren sozioökonomischen Gruppen nicht gleichmässig. Zweitens altert auch die Erwerbsbevölkerung nicht in allen Branchen gleich. Der Altersmix hängt vom Alters-Produktivitäts-Profil der Branche ab. Wenn es mit dem Alter keine Produktivitätssteigerungen gibt, wird ein Unternehmen relativ mehr jüngere Arbeitnehmer beschäigen, weil die Arbeitskosten mit dem Alter steigen. Obwohl eine Mischung aus älteren und jüngeren Arbeitnehmern zu einer erhöhten kognitiven Vielfalt führt. Das kann die Leistung an gewissen Arbeitsplätzen wiederum verbessern. Weiter hängt der Altersmix wie bereits erwähnt von den Einstellungskosten ab. Unternehmen, die mit beträchtlichen Vorabinvestitionen in Neueinstellungen konfrontiert sind, haben einen Bindungsanreiz. Hier düren mehr ältere Arbeitnehmer auf der Gehaltsliste stehen. In Wachstumsunternehmen tendiert die Altersstruktur wiederum stark in Richtung junger Arbeitnehmer. Einige Arbeitgeber berücksichtigen auch Kundenpräferenzen, wenn sie Personalentscheide treffen.
Relativer Rentengang
Die Jobaussichten variieren je nach Alter und Branche. Die Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters allein erhöht die Chance auf einen Arbeitsplatz nicht. Der Arbeitgeberverband und das Seco bemühen sich zwar branchenübergreifend die Arbeitsmarktfähigkeit von älteren Arbeitnehmern zu verbessern. Beispiel: Netzwerk «focus50plus». Und seit 2021 gibt es für ausgesteuerte Arbeitslose über 60 die Überbrückungsrente. Besser ist aber, angesichts der Erkenntnisse das Rentenalter zu relativieren oder die Lebensarbeitszeit einzuführen. Beides trägt der Bevölkerungsvielfalt besser Rechnung.