Asset-Liability Sharpe Ratio: neue Kennzahl für Lebensversicherer

Von Alexander Braun, assoziierter Professor für Versicherung und Kapitalmärkte an der Universität St.Gallen und Direktor des Instituts für Versicherungswirtschaft
Die Anlageergebnisse eines Lebensversicherers sind für dessen Versicherungsnehmer sehr bedeutsam. Da sie einen entscheidenden Einfluss auf die Rendite klassischer Policen mit Überschussbeteiligung nehmen. Für diesen Zweck standen bislang nur die risikoadjustierten Finanzkennzahlen, wie Sharpe Ratio, Sortino Ratio oder Calmar Ratio zur Verfügung. Das Problem dabei: Diese Kennzahlen wurden aus der Perspektive von Investment- und Hedgefonds entwickelt. Dagegen treffen Lebensversicherer Portfolioentscheidung je nach Zinssensitivität ihrer langfristigen vertraglichen Verpflichtungen. Dieser Situation wird nicht Rechnung getragen.
Liability-Driven Investors
Ein eigenes risikoadjustiertes Performance-Mass für solche «Liability-Driven Investors» hat die wissenschaftliche Literatur bisher nicht vorgeschlagen. Dies ist erstaunlich, beheimatet der Lebensversicherungssektor doch die weltweit grössten institutionellen Investoren, die mit einem verwalteten Vermögen von mehr als 40 Billionen US-Dollar (2020) weit vor Hedgefonds oder Private-Equity-Firmen liegen.
In einem kürzlich im Journal of Fixed Income publizierten wissenschaftlichen Artikel (Braun und Schreiber, 2021) ergänzen mein Koautor und ich die bestehende Palette von Performance-Kennzahlen durch eine Asset-Liability Sharpe Ratio (ALSR). Anstatt die Aktivseite der Bilanz isoliert zu bewerten, berücksichtigt das ALSR explizit die Wechselwirkung zwischen Aktiva und Passiva in der Marktwertbilanz von Lebensversicherern.
Erweiterte Sharpe Ratio
Das ALSR gleicht anatomisch der klassischen Sharpe Ratio, fusst im Gegensatz zu dieser aber auf Mittelwert und Standardabweichung einer marktrisikobasierten Eigenkapitalrendite (Englisch: Return on Equity, ROE). Das versicherungstechnische Ergebnis wird dabei ausgeklammert. Da dieses von den Vermögensverwaltern nicht beeinflusst werden kann, sollte es keinen Einfluss auf ihre Leistungsbeurteilung haben.
Die Berechnung des erforderlichen ROE und seiner Volatilität ist nicht ganz so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Tatsächlich kann man weder den Buchwert des Eigenkapitals noch den Aktienkurs des Unternehmens heranziehen, um die gesuchte Renditeverteilung zu schätzen. Grund dafür ist, dass ersterer keine Marktwertschwankungen abbildet, während letzterer auch sämtliche versicherungstechnischen Risiken reflektiert und zudem durch die allgemeine Börsenstimmung verzerrt werden kann. Das Problem löst ein einfacher Modellrahmen, mit dem die ersten beiden Momente der benötigten Renditeverteilung auf der Grundlage öffentlich verfügbarer Daten geschätzt werden.
Anreizwirkung der neuen Kennzahl
Die Relevanz der ALSR veranschaulicht eine umfassende Simulationsstudie: Darin generieren wir eine grosse Stichprobe von 10 000 hypothetischen Lebensversicherungsunternehmen und vergleichen deren Investment-Performance auf Basis der ALSR. Dabei zeigt sich, dass das ALSR aufgrund der unterschiedlichen Asset-Liability-Hedging-Eigenschaften der simulierten Anlage-Portfolios zu völlig anderen Rangreihungen führt als etablierte Performance-Kennzahlen.
Da das ALSR durch die ROE-Volatilität als Risikomass im Nenner massgeblich beeinflusst wird, fördert es ein konsequentes Asset-Liability-Management. Aus der Sicht der Vermögensverwaltung eines Lebensversicherers ist die Passivseite vorgegeben und stellt eine zentrale Restriktion bei Anlageentscheidungen dar. Im Gegensatz dazu können Gesamtkapitalrendite (Englisch: Return on Assets, ROA) und Aktiv-Passiv-Korrelation durch die Portfoliowahl bestimmt werden.
Das ALSR belohnt nun diejenigen Vermögensverwalter, die dasselbe Renditeniveau mit der höchstmöglichen Aktiv-Passiv-Korrelation und damit der geringstmöglichen ROE-Volatilität erzielen. Mit anderen Worten, anstatt isolierter Anlageentscheidungen fördert das ALSR die simultane Fokussierung zweier Ziele: Die Optimierung des Risiko-Rendite-Profils der Aktivseite und die Maximierung Asset-Liability-Korrelation. Letzteres ist äquivalent zur Minimierung des Duration Gaps.
Das ALSR als neues Performance-Mass ist speziell auf die Besonderheiten der Lebensversicherungsbranche zugeschnitten. Es setzt eine rein marktrisikobasierte durchschnittliche Eigenkapitalrendite (ROE) ins Verhältnis zu ihrer Volatilität und berücksichtigt damit die stochastische Abhängigkeit zwischen den Aktiva und den Passiva in der Marktwertbilanz. Das Mass ist einfach zu schätzen und anreizkompatibel. Zudem vermittelt es Informationen, die in den bestehenden Kennzahlen nicht enthalten sind.