Kapitalerträge einbeziehen?

Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit

Die Grünen und die SPD in Deutschland wollen Sozialabgaben auf Kapitalerträge erheben und am WEF in Davos verkünden Superreiche, mehr Steuern für die soziale Gerechtigkeit zahlen zu wollen. Das Ineinandergreifen von Ereignissen hat seine Logik. Kurz vor dem WEF erschien der Oxfam-Bericht zu Ungleichheiten: Der Vermögenszuwachs der Superreichen erreicht neue Rekorde und bei der Armutsbekämpfung gibt es kaum Fortschritte.  

 

Extremer werdende Ungleichheit

Allein im letzten Jahr stiegen die Vermögen der Milliardäre dreimal stärker als im Vorjahr. Dabei hat Deutschland die viertmeisten Milliardäre weltweit. Daher rührt auch der jüngste Politik-Vorstoss. Für die Schweiz hat Oxfam keine Zahlen erhoben. Doch das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» geht auch hierzulande von neuen Rekorden aus. Der Trend zu extremer Ungleichheit zwischen vermögenden und nicht vermögenden Personen ist global und entsteht massgeblich durch die Steuerpolitik. 

 

Aktuell zahlen Superreiche oft weniger Steuern und Abgaben als Mittelschichtsfamilien. Das liegt an mehreren Faktoren. Erstens beziehen Mittelschichtsfamilien ihr Einkommen hauptsächlich aus Arbeit, während Milliardäre von Kapitaleinkünften leben. Arbeitseinkommen wird aber in den meisten OECD-Ländern – mit Ausnahme der Schweiz – stärker besteuert als Kapitaleinkünfte. Zweitens beziehen sich Sozialabgaben nur auf Arbeitseinkommen, aber nicht auf Kapitaleinkünfte. Drittens fehlt in vielen Ländern eine Vermögenssteuer oder sie liegt wie in der Schweiz im Promille-Bereich. Viertens nutzen reiche Personen Möglichkeiten zur Steuerminderung wie Familienholdings oder Steueroasen. 

 

Diese vier Faktoren führen dazu, dass progressiv ausgestaltete Steuer- und Abgabensysteme regressiv wirken. Wobei die Mittelschicht prozentual mehr zum Steueraufkommen beiträgt als Ultrareiche. Das heisst: Sie finanzieren den Service Public überproportional. 

 

Digitale Verstärkung

Hinzu kommt: Die Digitalisierung verstärkt die Vermögensungleichheiten zusätzlich. Denn Technologieunternehmen wachsen schneller und schütten höhere Gewinne an die Anteilseigner aus als traditionelle Unternehmen. Das führt zu einer Verschiebung von Lohn- zu Kapitaleinkommen. Auch Netzwerkeffekte und Skalenvorteile in der digitalen Ökonomie führen zu einer Konzentration von Marktmacht und Vermögen. 

 

Schritte zu mehr Solidarität

Diese Macht wird verstärkt auch auf politischem Parkett ausgetragen. Das Beispiel Elon Musk verdeutlicht es. Extreme Vermögensungleichheit ist also nicht nur asozial, sondern auch gefährlich, indem es die Demokratie gefährden kann. Das im Hinterkopf macht die jüngsten Forderungen nach Abgaben und Steuern für Ultrareiche wie wir sie in Deutschland oder Davos hörten umso verständlicher. Doch sind diese Instrumente auch für die Schweiz tauglich?

 

Kannibalisierung vermeiden

Eine bessere AHV-Finanzierung gehört zum politischen Dauerbrenner. Würden neben den Löhnen auch Kapitaleinkommen sozialversicherungspflichtig, wäre das Problem vermutlich beseitigt. Aus verteilungspolitischer Sicht ist das ein guter Vorstoss. Es darf aber nicht als Angriff auf Sparer verstanden werden, die eigenverantwortlich vorsorgen. Deshalb braucht es grosszügige Freibeträge. Schliesslich sind nicht Kleinsparer das Ziel, sondern Superreiche. Ebenso müssten Geldanlagen der Altersvorsorge ausgeschlossen werden. Sonst würde sich die Altersvorsorge aus 1. und 2. Säule kannibalisieren.