Das Wir im Visier
Susanne Kapfinger, Ökonomin und Leiterin Redaktion AWP Soziale Sicherheit
Neues Jahr, neue Ideen – auch für den Generationenvertrag: FDP-Nationalrat Philippe Nantermod will im Bundesgesetz über die Krankenversicherung eine neue Altersklasse Ü65 verankern, wie der Walliser in einer Anfrage an den Bundesrat schreibt. Das würde die heutigen Solidaritäten stark verändern.
Worum geht es im Gesundheitsbereich? Das heutige Gesetz umfasst drei Kategorien von Prämien: Kinder, junge Erwachsene und Erwachsene. Eine vierte Kategorie für Seniorinnen und Senioren würde zu einer Prämienentlastung für jüngere Generationen führen. Gleichzeitig käme es aber zum Prämienzuschlag für ältere Menschen.
Zutiefst ungerecht, sei der Vorschlag von Nantermod, liessen Seniorenverbände in den Zeitungen «Tribune de Genève» und «24 Heures» verlauten: Der Vorschlag würde das Solidaritätsprinzip verletzen, empörte sich etwa die Organisation VASOS. Gesundheit ist zwar keine Lotterie, denn manche Krankheiten können selbst verschuldet sein. Trotzdem kann das Risiko zu erkranken jeden treffen. Das Gesundheitssystem kränkelt nicht an falschen Solidaritäten, sondern weil zu viele Leistungen erbracht werden. Das System wird überstrapaziert. Das Auflösen einzelner Solidaritäten löst das Problem deshalb nicht – es würde lediglich verschoben.
Bildung neu Denken?
Solidaritäten bestehen nicht nur in Sozialversicherungsverträgen, auch das Bildungssystem braucht sie. Hochschulen und Universitäten werden von der Öffentlichkeit finanziert. Das funktioniert, obwohl nicht alle das Bildungssystem beanspruchen. Der Grund: Der Nutzen, der sich daraus ergibt, kommt allen zugute. Akademikerinnen und Akademiker zahlen ihre Studienkosten meist indirekt zurück, indem sie nach dem Studium in einem hohen Pensum in einem gut bezahlten Job arbeiten und in der Regel hohe Steuern zahlen.
Doch genau das haben die Jungfreisinnigen auf ihrer Delegiertenversammlung bemängelt. Heute erodiere dieser Gesellschaftsvertrag zunehmend, weil gut ausgebildete Personen in der Schweiz vermehrt teilzeit arbeiten, sagte der Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz, Jonas Lüthy, im «Tages-Anzeiger». Sein Vorschlag: Eine verursachergerechte Rückzahlungspflicht. Demnach sollen in der Schweiz nachgelagerte Studiengebühren eingeführt werden, die nach dem Hochschulstudium zurückgezahlt werden müssen. Ein interessanter Vorschlag, der aber falsche Anreize setzen könnte. Die Schweiz profitiert von ihrem hohen Bildungsniveau. Hohe Studiengebühren könnten die Erfolge im Bildungsbereich schmälern. Schliesslich lautet die Devise: Mehr Bildung statt weniger.
Pfeiler des Wohlstands
Generationenverträge haben der Schweiz Wohlstand gebracht. Es ist gefährlich, wenn Solidaritäten schwinden, warnt etwa Noch-Mitte-Präsident Gerhard Pfister: Eine Wirtschaft ohne Werte, die nur dem Profit verpflichtet ist, gehe nicht auf. Stabilität braucht sozialen Frieden und Rücksicht auf die Schwachen und Minderheiten.
Doch für Stabilität, Menschenrechte oder Umweltschutz kann die Zivilgesellschaft nicht alleine einstehen. Dazu müssen auch Unternehmen verpflichtet und zur Verantwortung gezogen werden. Das will die Konzernverantwortungsinitiative sicherstellen (mehr auf Seite 4). Falls der neue Anlauf für eine Konzernverantwortungsinitiative an der Urne angenommen wird, schliessen wir lediglich zum globalen Trend auf.
In der Schweiz ist Wohlstand ohne ausgeprägte Solidaritäten und Generationenverträge kaum möglich, weil uns natürliche Ressourcen fehlen. Unsere wichtigste Ressource ist deshalb das Humankapital – Menschen. Dafür müssen wir Sorge tragen.